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Die Musen des Herodot von Kalkarnassos

Übersetzt von Dr. J. Chr. F. Bähr.


Viertes Buch. Melpomene.



Einleitung im das vierte Buch.

Der nächste Gegenstand der Erzählung des vierten Buches ist der von Darius. dem König der Perser, unternommene Kriegszug wider die Scythen, als die weitere Fortsetzung der Geschichte der denkwürdigen Regierung dieses Herrschers, welche im dritten Buch von der Erhebung desselben auf den Persischen Thron bis zu der Wiedereinnahme des rebellischen Babylon im Jahr 518 v. Chr. geführt war. Mit der Niederwerfung des Aufstandes der Babylonier und Unterdrückung dieser Empörung, die in einer der bedeutendsten Provinzen des durch Cyrus gegründeten und auf Darius übergegangenen Reiches sich erhoben und einen eben so langwierigen als kräftigen Widerstand den Angriffen des Königs entgegengesetzt hatte, konnte Darius eigentlich erst seine Herrschaft im Innern des Reiches für begründet erachten, zumal da auch andere Aufstände, welche an andern Orten und in andern Provinzen des weiten Reiches ausgebrochen waren, über welche Herodotus zwar schweigt, aber die Inschrift zu Bisutun, welche Darius in die Felsen hatte einhauen lassen[*] ), nähere Nachricht gibt, ebenfalls zu Boden geworfen waren, die Führer der Rebellen bestraft oder, als Gefangene vor den König geschleppt, zur verdienten Strafe gezogen worden waren.

Die innere Organisation des Reiches in administrativer wie in finanzieller Hinsicht war durch die Eintheilung desselben in eine Anzahl von Provinzen und Regulirung der von jeder in den königlichen Schatz zu entrichtenden Steuer vollendet[*] ): es war im Innern des Reiches nun eine Ruhe eingetreten, und damit auch ein größerer Wohlstand[**] ), wodurch es dem König Darius möglich werden konnte, seine Blicke nach Außen zu richten und gleich seinen Vorfahren, Cambyses und Cyrus, durch Erweiterung des Reiches und Ausdehnung der Persischen Herrschaft sich einen Namen und Ruhm zu erwerben. Der Zug wider die Scythen bot dazu die nächste Gelegenheit. Unter diesen Umständen werden wir aber auch wohl annehmen dürfen, daß dieser Zug nicht sogleich und unmittelbar nach der Eroberung Babylons, also gleich nach dem Jahre 519 v. Chr. stattgefunden, sondern, zumal wenn wir auch an die großen, für einen solchen Kriegszug zu machenden, ausgedehnten Vorbereitungen denken, erst einige Jahre nachher, in keinem Falle vor 515, ja wahrscheinlich erst um 513 v. Chr., in welches Jahr auch eine alte, unlängst an das Tageslicht gezogene Tafel[***] ) diesen Zug ansetzt, gleichzeitig mit der Ermordung des Harmodius und Aristogiton zu Athen.

Fragen wir nun nach dem Grund und der Veranlassung dieses Kriegszuges wider die Scythen, so wird derselbe im Eingang des vierten Buches geradezu bezeichnet als ein Rachezug, unternommen von dem Perserkönig, um Rache zu nehmen für die von den Scythen fast ein ganzes Jahrhundert zuvor (634 — 607 v. Chr.) gemachten Einfälle in das von Cyaxares beherrschte Medische Reich und für die damit verbundene acht und zwanzig Jahre dauernde Occupation des gesammten oberen Asiens (l, 103 — 106), worunter neben Medien auch wohl das eigentliche Persische Stammland begriffen ist. Einen solchen Rachezug hatte schon früher Cyrus, der Gründer der Persischen Monarchie, versucht, aber in der Ausführung selbst seinen Tod gefunden (l, 204), und wenn Herodotus diesen Heereszug des Cyrus wider die Massageten, die ja auch in gewisser Hinsicht zu den Scythen, im weiteren Sinne des Wortes, gezählt werden. hauptsächlich auf die Selbstüberhebung und den Stolz des bisher vom Glück so sehr begünstigten Herrschers zurückführt[*] ), so läßt er doch auch durch seine Versicherung, daß viele und wichtige Gründe den Cyrus zu diesem Unternehmen angetrieben und angereizt, noch einer weiteren Annahme über die Beweggründe und die Veranlassungen dieses Feldzuges Raum, und glauben wir dieselben füglich in dem feindseligen Verhältniß der den Norden des Persischen Reiches umwohnenden Nomaden (Turanier) zu den Bewohnern Persiens und Mediens (den Iraniern, Ariern) zu finden: dieses feindselige Verhältniss mochte den Cyrus schon zu einem solchen Zuge veranlaßt haben, dessen unglücklicher Ausgang um so mehr in der Seele des Darius den Gedanken wecken mußte, jetzt, nachdem durch die Unterwerfung aller Empörungen seine Herrschaft fest begründet war, und allerwärts im Innern des Reiches Ruhe eingetreten war, das auszuführen, was seinem Ahnherrn nicht gelungen war, also die Erbfeinde des Persischen Reiches zu züchtigen, ja sie völlig dienstbar zu machen und seiner Herrschaft zu unterwerfen: die Ausführung aber sollte nicht in den gefährlichen Steppen und Wüsteneien des mittleren Asiens geschehen, sondern vielmehr in den Europäischen Niederlassungen dieser Völker, wo eher ein günstigeres Resultat zu erwarten war. So mochte mit dem Gefühl der Rache, das diesen Zug eingab, wohl auch ein gewisses Ehrgefühl und ein gewisser Ehrgeiz sich verbinden, das zu erreichen, was Cyrus, der Gründer der Persischen Monarchie, vergeblich zu erreichen gesucht hatte: mit der Unterwerfung der Scythen die Persische Herrschaft bis zu den entferntesten Gegenden der Erde auszudehnen und damit den eigenen Ruhm zu vermehren; nur glauben wir nicht, daß in diesem Streben nach Ruhm der alleinige Grund und die alleinige Ursache des wider die Scythen unternommenen Zuges zu suchen ist: immerhin aber wird sie, auch nach dem, was wir III, 134. lesen, in Anschlag zu bringen sein, um uns den Zug des Darius auf genügende Weise zu erklären, und diesen nicht, wie man in neuester Zeit versucht hat, auf die Erweiterung des Handels und die Erzielung commercieller Vortheile zurückzuführen. Ueberdem zweifeln wir nicht, daß außer den eben besprochenen allgemeinen Ursachen es auch nicht an besonderen Veranlassungen fehlte, welche in der feindseligen Berührung mit diesen Gränzvölkern und den steten dadurch hervorgerufenen Reibungen zu suchen sind und den Darius zu dem Entschluß bringen mußten, durch einen mit größeren Mitteln veranstalteten Kriegszug ein für allemal den sich stets wiederholenden Befehdungen, Einfällen und Plünderungen, wie sie von Seiten dieser an den Gränzen des Reichs herumschwärmenden Nomaden stattfinden mochten, ein Ende zu machen: wir zählen dahin selbst eine Angabe des Justinus (II, 5), die jedenfalls einer älteren Quelle entstammt, von einer mißglückten Brautbewerbung des Darius um die Tochter des Scythischen Königs Jancyrus: eine Angabe ganz ähnlich der, welche den Cambyses zum Kriegszug wider Aegypten und zur Eroberung dieses Landes verlockt haben soll (Herodot III, 1); eben dahin wird wohl auch eine in den Persischen Excerpten des Ctesias (§. 16) enthaltene Angabe zu zählen sein, wornach ein auf Befehl des Darius von dem Persischen Satrapen des Landes Cappadocien in das Land der (Europäischen) Scythen gemachter Einfall, welcher mit Wegführung vieler Gefangenen, unter denen sich sogar der Bruder des Scythischen Königs befand, verbunden war, den Unwillen des Scythischen Königs erregt, dann weiter zu einer beleidigenden Correspondenz zwischen beiden Herrschern, dem Scythischen und Persischen, geführt, und dadurch zur Veranlassung des Kriegszuges des Darius geworden sei.

Wie man nun auch über die nächste Veranlassung, so wie über den tieferen Grund des von Darius wider die Scythen unternommenen Kriegszuges denken mag, man wird dabei unwillkürlich zu der Frage gedrängt, wer denn eigentlich die Scythen gewesen, und welches die unter diesem Namen zusammengefassten Völker, gegen welche Darius ein so gewaltiges Kriegsheer in Bewegung setzte, um so mehr, als Herodotus, nach seiner Gewohnheit, diese Gelegenheit benützt hat, ausführlich über die Scythen sich zu verbreiten, und alle die Nachrichten uns mitzutheilen, die er über dieses Volk in den demselben zunächst gelegenen und mit demselben in vielfachem Handelsverkehr stehenden Griechischen Kolonien an den nördlichen Gestaden des schwarzen Meeres und an den Mündungen der Donau einzuziehen Gelegenheit gefunden hatte, und so uns mit einem Volke bekannt zu machen, von welchem vor ihm kaum irgend eine nähere Kunde zu den Hellenen gelangt war. Durchgehen wir aber alle diese Nachrichten, wie sie in der von Herodot zuerst gegebenen, in diesem Buche enthaltenen Scythischen Völkertafel enthalten sind, so werden wir bald zu der Ueberzeugung gelangen, daß es sich bei den Scythen nicht um ein einzelnes, bestimmtes, größeres, wenn auch in noch so viele einzelne Stämme gespaltenes Volk handelt, sondern um einen Complex von Völkerschaften, die ihrer Abstammung nach, wie in ihren Sitten und Gebräuchen sehr von einander abweichen und hier unter der allgemeinen Benennung der Scythen zusammengefaßt sind. Auf alle die Völker, die aus verschiedenen Theilen des mittleren und nördlichen Asiens in frühester Vorzeit nach den Gegenden des nordöstlichen Europa's, in die Strecken des östlichen und südlichen Rußlands und der angränzenden Länder gezogen sind und sich hier niedergelassen haben, erscheint der Name Scythen als ein gemeinsamer, alle diese, wenn auch ihrer Herkunft nach verschiedene Stämme befassender Name übertragen worden zu sein, und zwar durch die Griechen, bei welchen dieser Name zuerst aufkommt zur Bezeichnung der obengenannten, von Asien herübergewanderten, großentheils nomadisch lebenden Völkerschaften, so wenig näher bekannt diese auch sonst den Griechen waren. Herodot versichert uns selbst (IV, 6), daß das Volk, das sich Skoloten nenne, bei den Hellenen den Namen der Skythen führe, eben so wie an einer andern Stelle (VII, 64) erklärt wird, daß die Perser alle Scythen (also alle die mit diesem Namen bezeichneten Völkerschaften des mittleren Asiens, nördlich vom Persischen Reiche) mit dem Namen der Saken bezeichnen: womit allerdings auch die Persischen Quellen übereinstimmen, da z. B. in der Grabschrift des Darius diese Saka allerdings unter den der Herrschaft des Darius unterworfenen Völkern genannt werden. Wenn diese Persische Bezeichnung zu keiner weiteren Geltung gelangt ist, so hat dagegen die Griechische Bezeichnung Skythen, seit Herodotus, allgemeine Geltung in der alten Welt erlangt, und ist auch hier meist in weiterem, unbestimmtem Sinne genommen worden, zumal da schon die ganze Art und Weise, in welcher Herodotus in diesem Buche von den Scythen, ihren Sitten und Gebräuchen u. s. w. spricht, zeigen kann, daß auch er unter dem Gesammtnamen der Scythen kein einzelnes und besonderes, bestimmtes Volk versteht, sondern mit diesem Namen einen Complex von sehr verschiedenartigen Völkerschaften begreift, deren Wohnsitze damals in den Gegenden des südlichen und östlichen Rußlands sowie in den an Rußland westwärts und südwestlich anstoßenden Ländern sich mehr oder minder befanden. Um so mehr mußte man versucht sein, diesen Völkerknäuel zu entwirren und auf seine wesentlichen und ursprünglichen Bestandtheile zurückzuführen. Indem man dieß auf etymologischem Wege versuchte und in dem Namen Scythen bald die Bedeutung eines Schützen, bald die eines Herumziehenden, also eines Nomaden finden wollte, so war, auch zugegeben, daß diese Bezeichnungen oder Prädikate auf die Mehrzahl der mit dem Namen der Scythen bezeichneten Völker anwendbar und passend sind, doch für die specielle Unterscheidung dieser Völker und die Bestimmung ihres Ursprungs wenig gewonnen. Andere glaubten in dem Griechischen greck das Wort Scud oder Taschud zu erkennen, welches zur Bezeichnung des Tschudischen oder Fennischen Volksstammes dient, dem jedoch die Mehrzahl der mit dem Namen der Scythen bezeichneten und in diesem Buch von Herodotus aufgeführten Völker kaum zugewiesen werden kann, selbst wenn einige dieser Völker auf diesen Stamm zurückgeführt werden dürften. Eine andere unlängst aufgestellte Ansicht[*] ) findet in dem Griechischen greck oder greck nur eine Umwandelung des Namens Dschut oder Dschad, Dachet (Kshita), welchen ein aus vielen einzelnen Stämmen bestehendes, großes, Indisches Volk führt, das ursprünglich in den westwärts vom Indus gelegenen Gegenden wohnte, dann aber sich weiter ausbreitete, und weiter auch nach Westen zu rückte, bis zu der Nordküste des kaspischen und schwarzen Meeres: aus diesem Namen, der anfänglich die Bezeichnung eines besonderen, aber gewiß des bedeutendsten der Volksstämme war, welcher von Osten westwärts aus Asien nach Europa gewendet, härten die am Pontus Euxinus wohnenden Griechen ihr greck gebildet und diesen Namen auf alle die an der Nordküste des kaspischen, wie des schwarzen Meeres, so wie von da weiter nach Norden und Osten zu wohnenden, herumziehenden Völker ausgedehnt. Auf diese Weise wäre die Bezeichnung eines einzelnen Volkes, und zwar eines hervorragenden, zu einer Collectivbezeichnung geworden. die dann allerdings eine Reihe verschiedenartiger Völker befaßt, über deren Abstammung und Herkunft die Griechen Nichts näheres in Erfahrung gebracht, und welche sie daher unter dieser allgemeinen Bezeichnung zusammengefaßt hatten. An eine Allgemeinheit der Bedeutung des Wortes Scythen wird man sich jedenfalls zu halten haben, wie man auch über die Etymologie des Wortes denken und hiernach dessen Sinn und Bedeutung bestimmen mag. Immerhin aber wird man nicht sehr irre gehen, der Mehrzahl der von Herodot in diesem vierten Buche aufgeführten und mit dem gemeinsamen Namen der Scythen bezeichneten Völker eine medisch-persische Abkunft zuzuerkennen und damit dem arischen Völkerstamme zuzuweisen: aus den Wohnsitzen dieses Völkerstammes, aus den von Medern und Persern bewohnten Landstrichen, mögen frühzeitig Auswanderungen erfolgt sein und Völkerzüge stattgefunden haben, in Folge deren diese meist nomadisch lebenden Arier, immer mehr nach Westen gedrängt, in den weiten und meist flachen Ländergebieten des südlichen und östlichen Rußlands bis zum Uralgebirge und zu dem Flußgebiete des Don hin, so wie westwärts bis zu den Donauländern, der Moldau und Walachei, bis nach Siebenbürgen und dem alten (jetzt russischen) Polen hinein sich ausbreiteten. Und daß auch andere Nomaden anderer Abkunft aus den nordwärts von Medien und Persien sich hinziehenden Steppen des mittleren Asiens sich nach Westen gewendet, und hier mit diesen Ariern in eine Berührung oder Verbindung gekommen, unter ihnen sich niedergelassen, wird kaum auffallend erscheinen, und uns dann auch eher das Völkergemenge begreifen lassen, das die Hellenen mit dem Gesammtnamen der Scythen bezeichnet haben, ohne in demselben weiter und näher die einzelnen Völker zu unterscheiden. Diese Unterscheidung wird man nur dann mit einiger Sicherheit zu machen im Stande sein, wenn man die Beschreibung, welche Herodotus von den einzelnen, unter diesem Namen zusammengefaßten Völkern gibt, genauer verfolgt. So unterscheidet derselbe von den Scythen, die er von Asien einwandern läßt, die vor ihnen in dem Lande wohnenden und durch sie vertriebenen Cimmerier (IV, 12. 13), die wir demnach als die Urbevölkerung oder doch als ein noch früher eingewandertes Volk zu betrauten haben; eben so unterscheidet er auch die Scythen von den Massageten, durch welche die Scythen, die in Asien wohnten, zur Auswanderung nach Europa gedrängt wurden (IV, 11, vgl. I 204 mit der Note), so daß wir wohl nicht sehr fehlen werden, wenn wir in diesen Massageten Turanier, d. h. einen Volksstamm Mongolischer Abkunft erkennen werden. Auch die Argippäer (IV, 23. 24) werden nach der Beschreibung, welche Herodotus von ihnen gibt, und nach ihrer eigenthümlichen (nicht Scythischen) Sprache zu den Mongolen zu zählen sein, auf welche auch Manches, was in den Sitten und Gebräuchen der Scythen von Herodot (IV, 61. 64. 71) berichtet wird, hinführen dürfte, während das, was über die von den Scythen verehrten Gottheiten berichtet wird (IV, 59), im Ganzen eher auf den Arischen Volksstamm führen mag. Auch die Issedonen (IV, 13) werden von den eigentlichen Scythen unterschieden, eben so die mythischen Arimaspen (IV, 27) und Greifen, wie die Hyperboreer (IV, 13. 32 ff.), in denen übrigens gewiß Niemand einen mongolischen Stamm wird finden wollen. Die Androphagen oder Menschenfresser unterscheidet Herodot ausdrücklich (IV, 18. 108) von den Scythen durch die Angabe, sie seien ein eigenes und keineswegs Scythisches Volk; wir werden sie daher auch wohl zu den Mongolen zählen dürfen: als ein solches eigenes Volk werden auch (IV, 22) die Thyssageten bezeichnet, die dann so gut wie die Massageten auch den Turaniern oder Mongolen zufallen würden: ob dasselbe auch bei den, an die Thyssageten stotzenden Jyrken (IV., 22), in denen man die Türken hat erkennen wollen, der Fall ist, möchten wir bezweifeln, da außer dem Namen keine weiteren bestimmten Anhaltspunkte gegeben sind, um sie von den übrigen Scythen arischen Stammes zu unterscheiden: im Gegentheil, Herodot scheint auch sie unter den Scythen zu begreifen, da er seiner Beschreibung der Jyrken die Worte folgen läßt, daß über ihnen nach Osten zu noch andere Scythen wohnten. Dagegen werden die Melanchlänen oder Schwarzröcke (IV, 20. 107), als ein "anderes und kein Scythisches Volk" bezeichnet, und wenn sie auch gleich Scythische Sitten (IV, 104) angenommen haben, doch damit aus dem Kreis der arischen Scythen, wie aber auch wohl der mongolischen Scythen ausgeschieden, da schon ihr auf die schwarze Tracht gegründeter Name auf ein Volk Fennischer oder Tschudischer Abkunft uns hinweist. Selbst die Amazonen werden nach den (IV, 110 ff.) gemachten Angaben von dem eigentlichen Stamme der eingewanderten (arischen) Scythen zu trennen sein, wenn sie auch gleich mit ihm in nähere Verbindung später kamen: nur wird man auch in ihnen weder Mongolen, noch Fennen oder Tschuden erkennen wollen, sondern sie mit den Völkern des Kaukasus in Verbindung zu bringen haben.

Dagegen werden die Sauromaten (IV, 21) oder Sarmaten, die man zu Vorfahren der Slaven hat machen wollen, dem Stamme der medisch persischen oder arischen Scythen wohl eben so zuzuzählen sein, wie die Neuren (IV, 105), die Budinen (IV, 108), mit denen sich frühzeitig ein hellenischer Stamm, die Gelonen, verbunden hat, die Alazonen (IV, 17) die Agathyrsen (IV, 104) und alle die andern bald als Nomaden, bald als Ackerbauende, bald als Königliche bezeichneten Scythen, so wie selbst die aus der Verbindung mit Griechischen Ansiedlern hervorgegangenen Hellenischen Scythen (IV, 17).

Solcher Art also waren die Völker, gegen welche der Kriegszug des Persischen Königs gerichtet war: sie in ihren Europäischen, weit ausgedehnten Wohnsitzen zur Unterwerfung zu bringen war die schwere Aufgabe welche Darius mit seiner Heeresmacht zu lösen unternahm. Ueber ihren Erfolg verbreitet sich Herodotus in diesem Buche mit aller Genauigkeit nach den ihm darüber zugekommenen Nachrichten. Die Vertheidigung der Scythen, nachdem der König den Ister (die Donau) überschritten hatte, war offenbar darauf berechnet, jeden offenen Kampf mit dem Gegner zu vermeiden, ihm stets auszuweichen und es zu keinem entscheidenden Treffen kommen zu lassen, wohl aber denselben immer tiefer in das Innere des Landes, in die öden und wasserlosen Steppen zu locken, wo der Unterhalt und die Verpflegung eines solchen Heeres unmöglich ward, durch Hin- und Hermärsche jeder Art den Gegner zu ermüden, um ihm dann desto leichter den Untergang zu bereiten: es gelang auch den Scythen, die Perser ziemlich tief in das Innere des Landes zu verlocken. wenn anders die Angabe des Herodotus (IV, 122), daß die Perser den stets vor ihnen ausweichenden und sich zurückziehenden Scythen bis über den Don gefolgt seien, ihre Richtigkeit hat: bis die Perser, in richtiger Erkenntniß ihrer Lage, schnell wieder umwendeten und sich eiligst nach der Donau zurückzogen, gewiß nicht ohne namhafte Verluste, die Herodotus zwar nicht näher angibt, während Ctesias von acht Myriaden (80000 Mann) spricht, welche, zurückgeblieben, von den Scythen vernichtet worden. Genau nun den Punkt zu bestimmen, bis zu welchem die Perser vorgedrungen, und wo sie wieder umgekehrt, möchte kaum möglich sein, zumal da wir den ganzen Kriegszug von der Donau an und wieder zurück an dieselbe auf die Dauer von sechzig Tagen (IV, 98) zu beschränken haben, während allein die Entfernung von der Donau bis zum Dnjepr (Borysthenes) nach Herodotus (IV, 101) zehn Tagereisen und zehn weitere Tagereisen von da bis zum Asowschen Meere beträgt, so daß es selbst unwahrscheinlich wird, daß die Perser bis zu dem in den östlichsten Winkel des Asowschen Meeres sich ergießenden Don vorgedrungen, diesen sogar überschritten und noch weiter in das Innere bis zu den Budinen (IV, 123) hingekommen seien. Hiernach wird sogar die in den Excerpten der Persischen Geschichten des Ctesias (§. 17) befindliche Angabe von einer Strecke von fünfzehn Tagereisen (wenn anders die Zahl richtig ist). welche Darius von der Donau an in das Innere des Scythischen Landes gemacht, glaublicher und würde dann der ganze Kriegszug des Darius auf eine kleinere Strecke zurückzuführen sein.

Immerhin aber wird auch so dieser denkwürdige Kriegszug an seiner Bedeutung nicht verlieren, während derselbe durch die genaue. dadurch hervorgerufene Schilderung der Scythischen Völker nicht wenig an Interesse für uns gewinnt, da wir hier die erste nähere Kunde von diesen, nördlich und westwärts vom schwarzen Meere gelegenen Ländern erhalten, die erst in weit späterer Zeit der römischen Herrschaft dem Abendlande näher bekannt geworden sind.

Wenn diesem Zuge des Darius und der damit verbundenen Schilderung der Scythischen Völker die eine größere Hälfte des vierten Buches gewidmet ist, so wendet sich die andere Hälfte (von Kap. 145 an) den gerade entgegengesetzten südlichen Ländern des Erdkreises in einer Weise zu, die nicht minder unsere volle Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt: ein von den Persern, wenn auch nicht unter Anführung des Darius, von Aegypten aus unternommenen, durch eine äußere Veranlassung herbeigeführter Kriegszug nach den westwärts von Aegypten gelegenen Küstenländern des nördlichen Afrika's gibt auch hier die Veranlassung, nicht blos die an der Nordküste Afrika's gegründeten blühenden Niederlassungen der Griechen zu Cyrene und Barce näher zu schildern, sondern auch eben so, wie in der ersten Hälfte, in eine Beschreibung der an der nordafrikanischen Küste und von da landeinwärts bis zur Wüste Sahara hin wohnenden einheimischen Völker einzugehen und uns so eine Nord-Afrikanische (Libysche) Völkertafel zu liefern, wie in der ersten Hälfte eine Scythische oder Nord-Europäische: nur von Carthago und der Carthagischen Herrschaft schweigt der Geschichtschreiber, wiewohl er mit einzelnen Carthagern, wahrscheinlich Handelsleuten, auf seinem Besuch der nordafrikanischen Küste zusammengetroffen sein muß, da er sich auf dieselben ausdrücklich beruft[*] ); und erklärt sich dieses Schweigen wohl am einfachsten daraus, daß Herodotus seinen Besuch der nordafrikanischen Küste nicht bis Carthago ausgedehnt hat, und darum außer Stand war, über diese Stadt und ihre Macht aus eigener Anschauung zu berichten, gerade wie er ja auch von Jerusalem uns nichts Näheres berichtet, weil er, nur in den Palästinisch-Phönicischen Küstenstädten verweilend, nicht in das Innere des Landes eingedrungen war[*] ).

Mit diesem Kriegszug der Perser in Afrika und der Beschreibung der an der Küste Afrika's wohnenden Völker schließt das vierte Buch; mit dem fünften Buche erst rückt der Geschichtschreiber seiner eigentlichen Aufgabe näher, indem er den Bemühungen der Perser mit Griechenland zuwendet.



Inhalt des vierten Buches.

Des Darius Zug wider die Scythen{(1—4):} die Sclaven der Scythen geblendet und Butter bereitend (2); der Kampf der von diesen Sclaven mit Scythischen Weibern erzeugten Jugend mit den aus Asien zurückkehrenden Scythen (3. 4)

Ursprung der Scythen nach der heimischen Sage (5-7), nach der hellenischen{(8—10),} und nach einer andern über ihre Einwanderung aus Asien und die Vertreibung der Cimmerier{(11.12);} Angaben Aristeas darüber{(13),} dessen Wunder zu Proconnesus und Metapontum{(14.15).}

Beschreibung des Landes und seiner Bewohner. Ungewißheit über den höchsten Norden{(16} ; die Kallipiden, Alazonen, Neuren{(17);} die Hyläa, die Borystheniten, die Androphagen{(18);} die Nomadenscythen{(19);} die königlichen Scythen, die Melanchlänen{(20),} die Sauromaten. die Budinen{(21);} die Thyssageten, die Jyrken{(22),} die Argippäer{(23.} 24); Ziegenfüßler und Siebrnmonatschläfer, Issedonen{(25.26);} die Arimaspen und Greife{(27);} der Winter und dessen Kälte, so wie der Einfluß desselben auf die Thiere{(28.29),} nebst einer Bemerkung über die Maulesel in Elis{(30);} die Schneeflocken{(31),} die Hyperboreer und ihre Opferspenden nach Delus{(32—36,} Olen 36, Abaris 36).

Die Gestalt und Eintheilung der Erde (36), zuvörderst Asien{(37—40),} Libyen von Necho und von Sataspes umschifft{(41—43),} so wie Indien und die südliche Küste Asiens von Scylax{(44);} Europa{(45),}

Der Pontus Euxinus und die Scythen. ihre Lebensweise und Unbesiegbarkeit{(46).} Die Flüsse Scythiens{(47);} der Ister{(48),} seine Nebenflüsse{(49),} sein Stand im Winter und Sommer{(50);} der Tyras{(51),} der Hypanis{(52),} Borysthenes{(53),} Panticapes{(54),} Hyyacyris{(55),} Gerrhug{(56),} Tanais{(57);} das Gras im Scythenlande{(58).}

Die Gottheiten der Scythen{(59);} die Art und Weise der Opferung{(60.61);} der Cult des Ares{(62).} Enthaltsamkeit von Schweinen{(63).} Der Gebrauch der Schädel und der Haut erschlagener Feinde zu Trinkgefäßen und Handtüchern{(64—66);} die Art und Weise der Wahrsagung{(67);} die Wahrsager und deren Behandlung bei einer Erkrankung des Königs{(68.69).} Die Art der Abschließung eines Bundes{(70)} ; die Begräbnisse der Könige und die Art und Weise der Bestattung derselben{(71.72);} die Bestattung der Privatleute{(73);} der Hanf bei den Scythen{(74)} und dessen Gebrauch zur Reinigung{(75).} Abneigung der Scythen wider fremde Sitten und deren Aufnahme (76), belegt durch die Erzählung von Anacharsis und dessen Schicksal{(76.77),} so wie von Scylas, welcher den Bakchischen Dienst in Scythien anzuführen versucht{(78—80).} Die Zahl der Bevölkerung und der von Lanzenspitzen verfertigte Kessel{(81);} die Spur der Fußstapfen des Herkules im Scythenlande{(82).}

Aufbruch des Darius ungeachtet der Abmahnung des Artabanus{(83);} die Hinrichtung der drei Söhne des Oeobazus{(84).} Ankunft am Bosporus, Besichtigung des Pontus Euxinus; dessen, wie des Bosporus, der Propontis und des Hellespontus Ausdehnung{(85.86);} der Zug des Heeres über die Brücke bei dem Bosporus, und die zum Andenken daran errichteten Säulen{(87);} die Belohnung des Mandrocles, der die Brücke geschlagen{(88).} Abfahrt der Jonier nach der Donau (Ister), um dieselbe zu überbrücken; Marsch des Darius durch Thracien bis zum Flusse Teams{(89);} Aufenthalt daselbst; Errichtung einer Denksäule mit einer Inschrift{(90.91);} die Steinhaufen am Flusse Artiscus{(92);} die Unterwerfung der Thracier, insbesondere der Geten{(93);} der Unsterblichkeitsglaube der Geten{(94)} und die verschiedenen Angaben über Zalmoxis{(95.96).} Darius überschreitet die Brücke über den Ister, die er nicht abbrechen läßt, sondern den Ioniern zur Bewachung übergibt{(97.98).}

Lage, Gestalt, Ausdehnung und Umfang des Scythischen Landtag{(99—101).} Entschluß der Scythen hinsichtlich der Vertheidigung ihres Landes, Sendung an die benachbarten Völker{(102);} die Taurier und ihre Verehrung der Iphigenia{(103),} die Agathyrsen{(104),} die Neuren{(105);} die Androphagen{(106),} die Melanchlänen{(107),} die Budinen und Gelonen{(108.109),} die Sauromaten, und ihre Verbindung mit den Amazonen{(110—117);} die gemeinsame Berathung der Könige dieser Völker und ihr Entschluß{(118.119),} der hiernach festgesetzte Kriegsplan der Scythen{(120)} und ihre Maßnahmen{(121);} der Zug der Perser durch das Land der Scythen, die denselben stets auf dem Wege folgen{(122bis125);} Sendung des Darius an den Scythenkönig Idanthyrsus{(126)} und dessen Antwort{(127);} die List der Scythen und ihre die Perser ermüdende Kriegsführung{(128—130),} ihre Geschenke an Darius{(131),} und die Deutung derselben von Seiten der Perser{(132).}

Verhandlung der Scythen mit den die Isterbrücke bewachenden Ioniern{(133):} Berathung des Darius und in Folge dessen schneller Rückzug in der Nacht{(134.135);} angebliche Aufforderung der Scythen an die Jonier, die Brücke über den Ister abzubrechen{(136—139);} glückliche Ankunft der von den Scythen verfehlten Perser bei dem Ister{(140),} Marsch über den Ister durch Thracien, wo Darius überschifft nach Asien und den Megabyzus mit einem Heer zurückläßt{(141-144).}

Zug des Aryandes gegen Libyen{(145);} Ansiedelung der aus Lemnus vertriebenen Minyer zu Lacedämon{(145.146);} ihre Auswanderung mit Theras nach Kalliste, nun Thera genannt{(147.148);} der in Sparta zurückgebliebene Sohn des Theras, Oeolycus und dessen Sohn Aegeus, von dem die Aegiden in Sparta abstammen{(149).} Spruch des Delphischen Orakels an die Theräer zur Gründung einer Kolonie in Libyen{(150).} Fahrt der Theräer nach der Jnsel Platea, unter Leitung des Coröbius, der dort allein zurückbleibt{(151)} und dann von dem nach Tartessus fahrenden Samier Coläus mitgenommen wird{(152);} Absendung einer Colonie von Thera nach der Insel Platea unter Battus{(153);} dessen Abstammung und die auf ihn bezüglichen Orakelsprüche{(154—156).} Niederlassung des Battus auf der Jnsel Aziris{(157)} und dann Uebersiedelung nach Cyrene{(158);} Zufluß von Colonisten, Battus II der Sieg über die Aegypter unter Apries{(159);} Arcesilaus, des Battus Sohn, gründet Barce, seine Niederlage durch die Libyer{(160);} Battus III. und die Berufung des Arkadiers Demonax zur Ordnung des Staates von Cyrene{(161);} Vertreibung des Arcesilaus III. und Flucht nach Samus, so wie seiner Mutter Pheretime nach Cypern{(162);} seine Wiedereinsetzung, sein Tod zu Barce{(163.164).} Pheretime's Bitte an Aryandes, den Persischen Statthalter Aegyptens (dessen Schicksal{165)} um Hülfe{(166);} in Folge dessen Absendung eines Heeres zur Unterwerfung von Libyen{(167).}

Die Völker Libyens: die Adyrmachiden{(168),} die Giligammen{(169),} die Asbysten{(170),} die Auschisen und Cabaler{(171),} die Nasamonen{(172),} die Psyllen{(173),} die Garamanten{(174),} die Maken, der Fluß Cinyps und der Hügel der Charitinnen{(175),} die Gindaner{(176),} die Lotophagen{(177),} die Machlyer, der Tritonssee und die Sage von Jason{(178.179),} die Auseer am Tritonssee und das Fest der Athene{(180).} Die libysche Wüste und der Sonnenquell{(181)} , Augila{(182),} die Garamanten{(183),} die Ataranten und Atlanten, die Salzhügel und der Berg Atlas{(184),} die Wüste über den Atlanten und deren Beschaffenheit{(185).} Die Sitten der nomadischen Libyer{(186.187),} ihre Opfer{(188),} ihre Bekleidung, die Aegisharnische{(189),} ihre Todtenbestattung und Wohnungen{(190);} die Maxyer{(191).} Die Thiere Libyens (191.192); die Zaueken{(193),} die Gyzanten{(194);} die Insel Cyraunis mit dem Goldsee, wie der Pechsee auf der Insel Zacynthus{(195);} Tauschhandel der Carthager (Phönicier) mit den Libyern außerhalb der Säulen des Herkules{(196).} Die Bestandtheile der Bevölkerung Libyens: die Eingebornen und die Ankömmlinge{(197).} Beschaffenheit des Bodens in Libyen, Fruchtbarkeit der Landschaft Cinyps{(198),} reicher Ertrag und dreifache Ernte in der Landschaft Cyrene{(199).}

Belagerung und Einnahme von Barce durch die Perser{(200.201);} grausame Rache der Pheretime an den Barcäern{(202);} Durchzug des persischen Heeres durch Cyrene und Rückkehr nach Aegypten{(203),} Ansiedelung der weggeführten Barcäer in Baktrien{(204).} Scheusslicher Tod der Pheretime{(205).}


Viertes Buch. Mesomene.


1.-4

Nach der Einnahme von Babylon fand des Darius Zug wider die Scythen statt. Denn da Asien[*] ) einen Ueberfluß hatte an kräftigen Männern und viel Geld zusammenfloß[**] ), entstand in Darius das Verlangen, Rache zu nehmen an den Scythen, weil sie durch ihren Einfall in das Medische Land und den Sieg, welchen sie in einer Schlacht über die ihnen Entgegenziehenden gewonnen, ihm zuerst eine Beleidigung angethan hatten[***] ). Denn die Scythen halten, wie ich auch früher[†] ) bemerkt habe, über das obere Asien[††] ) acht und zwanzig Jahre lang geherrscht: sie waren nämlich bei der Verfolgung der Cimmerier in Asien eingefallen und hatten den Medern die Herrschaft entrissen, welche, ehe die Scythen kamen, Herren in Asien waren. Der Scythen aber, welche acht und zwanzig Jahre fort gewesen waren und nach so langer Zeit in ihre Heimath zurückkehrten, wartete ein nicht geringerer Kampf als der mit den Medern; denn die Weiber der Scythen waren, als ihre Männer so lange ausgeblieben, zu ihren Sclaven gegangen[*] ).


***
2.

Es blenden aber die Scythen alle ihre Sclaven um der Milch willen, welche sie trinken, wobei sie in folgender Weise verfahren[**] ); sie nehmen Röhren aus Knochen zum Blasen, welche ganz ähnlich sind den Flöten, und stecken dieselben in die Schamtheile der Stuten[***] ), dann blasen sie mit dem Munde hinein und während der Eine bläst, melkt der Andere[†] ); sie thun dieß, wie sie sagen, deßwegen, weil die Adern der Stute durch das Blasen anschwellen und sie dann das Euter herabläßt. Wenn sie aber die Milch gemolken, schütten sie dieselbe in Bütten von Holz und stellen zu den Bütten ringsherum die blinden (Sclaven), welche die Milch herumrühren: was davon oben sich setzt[††] ), schöpfen sie ab und gilt dieß für das Vorzüglichere; was aber unten sitzen bleibt, halten sie für geringer als das andere. Deswegen nun blenden[†††] ) die Scythen einen Jeden, welchen sie fangen; denn sie sind keine Ackerbauer, sondern Herumziehende (Nomaden)[*] ).



***
3.

Aus der Verbindung dieser Sclaven mit jenen Weibern war eine Jugend aufgewachsen, welche, nachdem sie ihre Abkunft erfahren hatte, den Scythen bei der Rückkehr aus Medien entgegentrat. Und zuerst schnitten sie ihr Land ab, indem sie einen breiten Graben zogen[**] ), welcher von den Taurischen Bergen bis zum See Mäotis, welcher sehr groß ist, reicht; hernach aber, als die Scythen einzudringen[***] ) versuchten, stellten sie sich ihnen entgegen und ließen sich mit ihnen in einen Kampf ein. Wie sie nun öfters mit einander stritten und die Scythen im Kampfe keinen Vortheil gewinnen konnten, sprach Einer von ihnen also: Ihr Scythen! Was thun wir ? Wir kämpfen mit unsern Sclaven, und werden, wenn wir von ihnen getödtet werden, selbst geringer an Zahl, während wir, wenn wir sie tödten, in Zukunft über Wenigere gebieten werden! so bin ich nun der Meinung, wir legen Lanzen und Bogen nieder, ein Jeder nimmt die Peitsche seines Pferdes und so treten wir ihnen näher; denn so lange sie sehen, daß wir Waffen in der Hand haben, glauben sie uns gleich zu sein und von gleicher Abkunft wie wir; wenn sie aber sehen, daß wir Peitschen statt der Waffen haben, so erkennen sie, daß sie unsere Sclaven sind, und wenn sie dessen inne geworden sind, werden sie keinen Widerstand mehr leisten.



***
4.

Als dieß die Scythen vernommen hatten, führten sie es sofort auch aus; die Andern aber, betroffen von dem, was von Jenen geschah, gedachten nicht mehr des Kampfes und ergriffen die Flucht. Also herrschten die Scythen über Asien, und als sie daraus wiederum von den Medern vertrieben worden waren, kehrten sie auf solche Weise in ihre Heimath zurück. Deßwegen wollte Darius Rache nehmen an ihnen und sammelte wider sie ein Heer[*] ).




5.-7

Wie die Scythen angeben, wäre ihr Volk das jüngste von allen Völkern und also entstanden. Der erste Mann in diesem Lande, welches noch öde war, sei Targitaus mit Namen gewesen; die Eltern dieses Targitaus, behaupten was ich jedoch nicht glaube, obwohl also angeben, wären Zeus und die Tochter des Flusses Borysthenes gewesen; von solcher Abkunft demnach wäre Targitaus gewesen, und dieser hätte drei Söhne gehabt, Leivoxais, Arpoxais und Kolaxais, den jüngsten von ihnen. Unter ihrer Herrschaft wären vom Himmel herab goldene Werkzeuge, ein Pflug, ein Joch, ein Beil und eine Schale, in das Scythische Land gefallen, und der älteste von ihnen sei, so wie er dieß gesehen, näher herzugegangen, um dieselbe zu nehmen; wie er aber dazu gekommen, habe das Gold zu brennen angefangen, worauf er sich entfernt; da sei der zweite herzugetreten, aber das Gold machte es wieder eben so; also hielt das brennende Gold dieselben ab: wie aber der dritte, der jüngste, hinzu kam, war es verloschen und so nahm er es denn nach Hause mit, worauf die älteren Brüder, als sie dessen inne geworden[*,] dem jüngsten die Herrschaft ganz überließen ).


***
6.

Von Leipoxais nun sollen diejenigen Scythen abstammen, welche Aucheten ihrem Geschlechte nach heißen, von dem mittleren Bruder Arpoxais diejenigen, welche Katiaren und Traspier heißen; von dem jüngsten Bruder die königlichen, welche Paralaten heißen; alle zusammen aber hätten den Namen Skoloten, nach dem Namen des Königs; die Hellenen aber nennen sie Scythen[**] ),



***
7.

Also, behaupten die Scythen, wären sie entstanden; es wären aber, sagen sie weiter, seit ihrer Entstehung von dem ersten König Targitaus bis zu dem Zuge des Darius wider sie in Allem nicht mehr als tausend Jahre verflossen, sondern gerade so viele. Das heilige Gold aber bewahren die königlichen (Scythen) auf das sorgfältigste und nahen sich ihm jedes Jahr mit großen Sühnopfern. Wer aber das heilige Gold hat und bei diesem Feste unter freiem Himmel eingeschlafen ist, der überlebt nach Versicherung der Scythen das Jahr nicht, und deßwegen wird ihm so viel Land gegeben, als er zu Pferde in einem Tage umreiten kann. Da nun das Land groß ist, so soll Kolaxais seinen Söhnen ein dreifaches Königthum gestiftet und von diesen eines zum größesten gemacht haben, in welchem das Gold bewahrt wird. Was aber die darüber hinaus nach Norden zu gelegenen Reiche betrifft. und die über dem Scythischen Lande Wohnenden, so wäre es nicht möglich, noch weiter etwas zu sehen oder hindurchzukommen, wegen der Alles erfüllenden Flocken[*] ); denn die Erde wie die Luft wären voll von Flocken, und diese hinderten jede Aussicht.




8.-10

Also erzählen die Scythen von sich selbst und von dem über ihnen liegenden Lande; die Hellenen aber, welche am Pontus[**] ) wohnen, erzählen Folgendes: Als Herkules die Rinder des Geryones wegtrieb, wäre er auch in dieses Land gekommen, welches jetzt die Scythen bewohnen, damals aber noch öde war; Geryones aber wohnte außerhalb des Pontus, und hatte seinen Sitz auf der Insel, welche die Hellenen Erytheia[***] ) nennen, und welche bei Gadeira außerhalb der Säulen des Herkules am Oceanus liegt; der Oceanus nämlich, wie sie in ihrer Erzählung wohl angeben, aber in der That nicht beweisen[*] ), soll von Sonnenaufgang her seinen Anfang nehmen und um die ganze Erde herumfließen. Von hier[**] ) wäre Herkules in das Land, so jetzt Scythien heißt, gekommen, und erfaßt von Sturm und Kälte habe er seine Löwenhaut darüber angezogen und wäre eingeschlafen; seine Pferde aber, die, vom Wagen abgespannt, weideten, seien in dieser Zeit durch göttliche Fügung verschwunden.


***
9.

Als Herkules aufgewacht war, suchte er nach ihnen und so sei er, nachdem er die ganze Gegend durchzogen, zuletzt in die sogenannte Landschaft Hyläa[***] ) gekommen; hier habe er in einer Höhle die Echidna[†] ) gefunden, ein Doppelwesen, mit einer Jungfrau gepaart, insofern der obere Theil von den Hinterbacken an die Gestalt eines Weibes, der untere Theil die einer Schlange hatte: voll von Verwunderung über diesen Anblick habe er sie gefragt, ob sie irgendwo Pferde herumstreifen gesehen, worauf dieselbe ihm erwidert, daß sie im Besitz derselben wäre, aber sie ihm nicht zurückgeben werde, bevor er sich mit ihr verbunden: um diesen Preis hätte denn Herkules bei ihr geschlafen; indessen habe sie die Zurückgabe der Pferde immer hinausgeschoben, in der Absicht, recht lange Zeit mit Herkules zusammen zu sein, während dieser nach Empfang der Rosse von dannen zu gehen wünschte; endlich aber gab sie ihm die Rosse zurück mit folgenden Worten: diese Pferde nun habe ich dir, als sie hierher gekommen, gerettet und du hast mir den Rettungslohn entrichtet: denn ich habe von dir drei Söhne. Wenn diese nun herangewachsen sind, gib mir an, was soll ich mit ihnen anfangen ? soll ich sie hier ansiedeln lassen? denn ich habe die Gewalt über dieses Land in Händen, oder soll ich sie zu dir fortschicken? Auf diese ihre Frage soll nun Herkules Folgendes geantwortet haben: Wenn du siehst, daß Männer geworden sind, so thue Folgendes und du wirst nicht fehlen; wer von ihnen, stehst du, diesen Bogen also spannen, und mit diesem Gürtel auf diese Weise sich umgürten kann, den nimm zum Bewohner dieses Landes; wer aber diesen Werken, die ich dir vorschreibe, nicht genügen kann, den schicke fort aus dem Lande. Thuest du dieß, so wirst du selbst deine Freude haben und dem, was ich dir aufgetragen, nachkommen.



***
10.

Da spannte Herkules den einen der beiden Bogen, denn er trug damals zwei, zeigte ihr den Gürtel und übergab ihr dann beides, den Bogen und den Gürtel, an welchem, oben an dem Schloß, eine goldene Schale hing; und wie er ihr dieß gab, entfernte er sich. Sie aber gab den Söhnen, die sie von Herkules geboren, als sie Männer geworden waren, sofort Namen, dem ältesten den Namen Agathyrsus[*] ), dem der darauf folgte, den Namen Gelonus[**] ), und dem jüngsten den Namen Scythes; dann aber eingedenk des Auftrags that sie das, was ihr aufgegeben war. Und zwei ihrer Söhne, Agathyrsus und Gelonus, waren allerdings nicht im Stande, der ihnen gestellten Aufgabe zu genügen, und zogen daher aus dem Lande, vertrieben von ihrer eigenen Mutter; der jüngste dagegen, Scythes, vollbrachte das Werk und verblieb in dem Lande. Von diesem Scythes, dem Sohne des Herkules, sollen die jedesmaligen Könige der Scythen abstammen, von der Schale aber komme es, daß noch bis auf diesen Tag die Scythen Schalen an ihren Gürteln tragen; dieß nämlich allein habe die Mutter für den Scythes so eingerichtet. Dietz ist die Angabe der Hellenen, welche am Pontus wohnen.




11.-12

Es gibt aber auch eine andere Erzählung, welche also lautet, und dieser stimme ich selbst am meisten bei. Hiernach wären die Scythen, welche als Nomaden in Asien lebten, in einem Kriege gedrängt von den Massageten[*] ), über den Fluß Araxes[**] ) nach dem Cimmerischen Lande gezogen; denn das Land, welches jetzt die Scythen bewohnen, soll vor Alters den Cimmeriern[***] ) gehört haben; bei dem Anrücken der Scythen berathschlagten die Cimmerier, weil ein so großes Heer heranziehe, und wären ihre Ansichten auseinandergegangen, obwohl von beiden Seiten eifrig verfochten; besser wäre jedoch die der Könige[†] ) gewesen, denn die Meinung des Volkes wäre dahin gegangen, daß es dienlich sei, sich zu entfernen und nicht in Gefahr eines Kampfes mit einer Uebermacht sich zu begeben; die Könige aber hätten auf einen entscheidenden Kampf mit den Heranziehenden um des Landes willen gedrungen; so also hätte weder das Volk den Königen, noch die Könige dem Volk nachgeben wollen; die einen gedachten ohne Kampf davonzuziehen und das Land den Heranrückenden überlassen, die Könige aber beschlossen lieber in ihrem Lande zu sterben und im Grabe zu ruhen, nicht aber zugleich mit dem Volke zu entfliehen, in Erwägung des vielen Guten, das ihnen zu Theil geworden, und all der Uebel, die ihrer warteten bei der Flucht aus dem Vaterlande. Und als sie in der Weise sich entschieden hatten, trennten sie sich von einander und, da sie an Zahl einander gleich waren, stritten sie mit einander; und begrub das Volk der Cimmerier alle die, welche von ihnen erschlagen worden waren, an dem Flusse Tyras[*] ), wo man noch jetzt ihr Grab sieht; nach der Bestattung aber zogen sie aus dem Lande ab und es rückten die Scythen heran, welche das verlassene Land in Besitz nahmen.


***
12.

Auch jetzt noch gibt es im Scythischen Lande Cimmerische Vesten, Cimmerische Fuhrten[**] ), so wie eine Landschaft mit Namen Cimmerien und heißt der Bosporus der Cimmerische[***] ); auch ist es offenbar, daß die Cimmerier vor den Scythen nach Asien[†] ) flohen und sich auf der Halbinsel niederließen, auf welcher jetzt die hellenische Stadt Sinope[††] ) angelegt ist; eben so offenbar ist es, daß die Scythen auf der Verfolgung derselben den Einfall in das Medische Land machten, weil sie den Weg verfehlt hatten; denn die Cimmerier flohen stets längs der Meeresküste; die Scythen aber verfolgten sie, indem sie den Kaukasus zur Rechten hatten, bis sie in das Medische Land einfielen, da sie auf ihrem Wege sich dem Binnenlande zugewendet hatten. Dieß ist die andere Angabe, welche gemeinsam von Hellenen wie von Barbaren berichtet wird.




13.

Auch erzählt Aristeas, des Kaystrobius Sohn, aus Proconnesus[†††] ), ein epischer Dichter[*†] ), er wäre, von Phöbus begeistert, zu den Issedonen ) gekommen; über den Issedonen aber wohnten die Arimaspen ), Männer mit einem Auge, und über diesen die goldbewachenden Greifen ), über diesen aber die Hyperboreer †), welche bis zum (nördlichen) Meere sich hinziehen: alle diese, mit Ausnahme der Hyperboreer, hätten stets ihre Nachbarn angegriffen, wobei die Arimaspen den Anfang gemacht: von den Arimaspen wären die Issedonen aus ihrem Lande getrieben worden, von den Issedonen die Scythen, die Cimmerier aber, welche an dem südlichen Meere ††) wohnten, hätten, gedrängt von den Scythen, ihr Land verlassen. Auf diese Weise stimmt nicht einmal Dieser mit den Scythen hinsichtlich dieses Landes überein †††).



14.-15

Woher nun Aristeas war, der dieses gedichtet, ist angegeben worden, was ich aber für eine Geschichte von ihm zu Proconnesus und Cyzicus †) gehört habe, will ich hier erzählen. Aristeas nämlich, der in Bezug auf seine Herkunft keinem seiner Mitbürger nachstand, soll, wie sie angeben, in eine Walkerei zu Prokannesus gegangen und hier gestorben sein; darauf wäre der Walker, nachdem er die Werkstätte verschlossen, weggegangen, um die Angehörigen des Verstorbenen davon zu benachrichtigen. Als sich aber in der Stadt bereits das Gerücht verbreitet hatte, daß Aristeas gestorben sei, wäre ein Bürger in Cyzicus mit denen, welche dieß behaupteten, in Streit gerathen, indem er, von Artake kommend, versichert, er sei auf dem Wege nach Cyzicus mit Aristeas zusammengetroffen und hätte mit ihm in ein Gespräch sich eingelassen. Und während er auf seinem Widerspruch fest verharrte, begaben sich die Angehörigen des Gestorbenen zu der Walkerei, mit Allem Nöthigen versehen, um den Leichnam wegzubringen; als aber das Haus geöffnet worden, war kein Aristeas zu sehen, weder todt noch lebend; erst im siebenten Jahre nachher wäre er wieder zu Proconnesus erschienen und hätte die Gedichte verfertigt, welche jetzt von den Hellenen die Arimaspeen genannt werden; nachdem er aber dieselben gedichtet, wäre er zum zweitenmal verschwunden. So erzählt man in diesen Städten.


***
15.

Folgendes aber soll sich, wie ich vernommen, zu Metapontum in Italien[*] ) zugetragen haben nach dem abermaligen Verschwinden des Aristeas dreihundert vierzig Jahre später, wie ich durch eine Zusammenstellung zu Proconnesus und zu Metapontum herausbrachte. Die Metapontiner erzählen nämlich, Aristeas selbst sei in ihrem Lande erschienen und habe sie aufgefordert, einen Altar dem Apollo zu errichten, und neben ihm ein Standbild mit dem Namen des Aristeas aus Proconnesus aufzustellen; denn Apollo, versicherte er, wäre in ihr Land zu ihnen allein unter allen Italioten[**] ) gekommen, und er, der jetzige Aristeas, wäre ihm gefolgt; damals aber, als er dem Gotte folgte, wäre er ein Rabe gewesen[***] ); und als er diese Worte gesprochen, wäre er verschwunden. Die Metapontiner versichern, daß sie nach Delphi geschickt und den Gott befragt hätten, was die Erscheinung des Menschen zu bedeuten habe; worauf die Pythia ihnen den Rath gegeben, der Erscheinung Folge zu leisten, denn, wenn sie folgten, würde es ihnen besser gehen. Sie hätten dieß, angenommen und darauf Alles in's Werk gesetzt. Und so steht jetzt eine Bildsäule mit dem Namen des Aristeas neben dem Bilde des Apollo selbst, ringsherum stehen Loorbeerbäume; das Bild aber ist errichtet auf dem Markt. So viel nun soll über den Aristeas gesagt sein[*] ).




16.

Von dem Lande, über welches diese Darstellung sich zu verbreiten begonnen hat, weiß Niemand bestimmt anzugeben, was darüber hinausliegt. Denn ich konnte von Niemanden, der als Augenzeuge es zu kennen versicherte, Etwas erfahren, nicht einmal Aristeas, dessen ich kurz zuvor erwähnt habe, hat in seinen Gedichten behauptet, weiter als zu den Issedonen gekommen zu sein; was darüber liegt, gibt er von Hörensagen an, mit der Bemerkung, daß es die Issedonen seien, welche dieß erzählten. Indessen, was wir mit Bestimmtheit, soweit dieß nur immer möglich war, von Hörensagen zu vernehmen im Stande waren, das soll Alles hier mitgetheilt werden.



17.

Von dem Handelsplatz der Borystheniten[**] ) an, welcher so ziemlich in der Mitte des Küstenlandes von ganz Scythien liegt wohnen zuerst die Kallipiden, welche hellenische Scythen sind; über diesen wohnt dann ein anderes Volk, welches die Alazonen genannt wird. Diese und die Kallipiden leben in allem Andern ganz auf dieselbe Weise wie die Scythen, aber sie säen und essen auch Getreide, so wie Zwiebeln, Knoblauch, Linsen und Hirse. Ueber den Alazonen wohnen ackerbauende Scythen[*] ), welche nicht zur Nahrung das Getreide säen, sondern zum Verkauf; über diesen wohnen die Neuren[**] ); was aber von diesen gegen Norden zu liegt, ist von Menschen verlassen, so weit wir wissen. Dieß sind die Völker längs des Hypanis westwärts vom Borysthenes.



18.

Geht man aber über den Borysthenes, so kommt zuerst vom Meere aus die Landschaft Hyläa[***] ); geht man von da aufwärts[†] ), so wohnen landbauende Scythen, welche die am Flusse Hypanis wohnenden Hellenen Borystheniten nennen, sich selbst aber nennen sie Olbiopoliten ††). Diese das Land bebauenden Scythen wohnen in östlicher Richtung eine Strecke von drei Tagreisen und ziehen sich bis zu dem Fluß, welcher den Namen Pantikapes[†††] ) trägt, nach Norden zu aber in einer Fahrt von eilf Tagen den Borysthenes aufwärts. Das Land, welches über diesen liegt, ist öde eine weite Strecke hin; nach dem öden Landstrich kommen die Wohnsitze der Androphagen[*] ), welche ein eigenthümliches und durchaus kein Scythisches Volk sind. Ueber diesen aber ist in Wirklichkeit schon Alles öde und kein Volk von Menschen anzutreffen, so weit wir wissen.



19.

Ostwärts von diesen landbebauenden Scythen, wenn man den Fluß Pantikapes überschreitet, wohnen schon nomadische Scythen, welche weder säen noch pflügen irgendwie; es ist aber diese ganze Landstrecke von Bäumen entblöst, mit Ausnahme der Hyläa. Diese Nomaden bewohnen nach Osten zu in einer Strecke von vierzehn Tagereisen ein Land, welches bis zum Fluß Gerrhus[**] ) sich erstreckt.



20.

Jenseits des Gerrhus ist dann das Land, welches das königliche genannt wird, und dort sind die tapfersten und zahlreichsten Scythen, welche die übrigen Scythen für ihre Sclaven ansehen. Diese ziehen sich in mittäglicher Richtung bis zum Taurischen Land[***] ), in östlicher bis zu dem Graben, welchen ja die von den Blinden-Abstammenden gegraben hatten[†] ), und bis zu dem Handelsplatz an dem Mäotischen See, welcher Kremnoi[††] ) heißt; einige von ihnen reichen bis zum Fluß Tanais †††). Was aber nordwärts von den königlichen Scythen liegt, bewohnen die Melanchlänen[*] ), ein anderes und kein Scythisches Volk; über den Melanchlänen hinaus sind Seen und eine von Menschen verlassene Wüste, soweit wir wissen.



21.

Geht man aber über den Fluß Tanais[**] ), so ist kein Scythisches Land mehr, sondern die erste Abtheilung des Landes gehört den Sauromaten, welche von dem innersten Winkel des Mäotischen Sees an nach Norden zu auf eine Strecke von fünfzehn Tagereisen ein Land bewohnen[***] ), welches ganz kahl ist, und weder wilde noch zahme Bäume enthält. Ueber diesen[†] ) wohnen die Budinen, welche die andere Abtheilung inne haben, ein Land, das ganz mit mannichfacher Waldung bedeckt ist.



22.

Ueber den Budinen hinaus nach Norden zu ist zuerst eine Wüste, sieben Tagereisen lang; nach der Wüste, wenn man sich etwas mehr nach Osten zuwendet, wohnen die Thyssageten ††),[††] ), ein zahlreiches und eigenthümliches Volk, das von der Jagd lebt. Anstoßend an dieselben in eben den Gegenden wohnen diejenigen, welche den Namen Jyrken führen und ebenfalls von der Jagd leben auf folgende Weise. Der Jäger steigt auf einen Baum und hält sich hier auf dem Anstand (es gibt aber Bäume in Menge überall in diesem Lande); ein jeder hat sein Pferd dabei, welches abgerichtet ist, sich auf den Bauch zu legen, um so recht niedrig zu erscheinen; auch der Hund steht in Bereitschaft. Wenn nun der Jäger von dem Baume herab das Wild erblickt hat, so schießt er mit dem Bogen nach ihm, besteigt dann das Pferd und jagt ihm nach; auch der Hund folgt ihm hart nach. Ueber diesen, wenn man ostwärts sich etwas wendet, wohnen andere Scythen, welche von den königlichen Scythen abgefallen und auf solche Weise in dieses Land gekommen sind.



23.-24

Bis zu dem Lande dieser Scythen ist das bisher beschriebene Land ganz eben und hat fetten Boden; von da. an aber ist er steinig und rauh. Hat man nun eine große Strecke des rauhen Landes durchschnitten, so wohnen am Fuße hoher Berge[*] ) Menschen, welche von der Geburt an kahlköpfig sein sollen, und zwar Männer wie Frauen auf gleiche Weise; sie sind stumpfnasig, und haben ein großes Kinn, sprechen auch eine eigene Sprache[**] ), und tragen Scythische Kleidung, leben aber von Bäumen; der Baum, von welchem sie leben, hat den Namen Pontikon[***] ), und ist an Größe etwa gleich dem Feigenbaum; er trägt eine Frucht, die der Bohne gleich ist, aber einen Kern hat. Wenn diese Frucht reif geworden ist, so pressen sie dieselbe mittelst Tücher, und fließt daraus ein dicker und schwarzer Saft, welcher Aschy heißt, an diesem lecken sie und trinken ihn auch vermischt mit Milch; van dem Dicken der Hefe desselben verfertigen sie auch eine Art von Kuchen, welche sie ebenfalls verzehren; denn sie haben nicht viel Vieh, weil keine guten Triften dort sich finden. Ein Jeder wohnt unter einem Baum, über welchen er während des Winters eine weiße dichte Filsdecke spannt, im Sommer lebt er ohne die Decke. Kein Mensch thut diesen ein Leid an, denn sie gelten für heilig; auch haben sie gar keine kriegerische Waffe; dabei sind sie es, welche die Streitigkeiten der Nachbarn schlichten, und wer zu ihnen als Flüchtling entkommen ist, dem thut Niemand Etwas zu Leide, ihr Name ist Argippäer.


***
24,

Bis zu diesen Kahlköpfen kennt man so ziemlich das Land, so wie die Völker vor denselben. Denn es kommen zu ihnen theils Scythen, von welchen man es leicht erfahren kann, theils auch Hellenen von dem Borysthenischen Handelsplatz[*] ), und von den andern Handelsplätzen am schwarzen Meere. Die Scythen aber, welche zu ihnen kommen, machen ihre Geschäfte mit ihnen ab mittelst sieben Dolmetscher und mittelst sieben Sprachen[**] ).




25.-26

Bis dahin nun kennt man das Land. Was aber über den Kahlköpfigen liegt, darüber weiß Niemand mit Verlässigkeit Etwas anzugeben; denn hohe unzugängliche Berge schneiden Alles ab und Niemand übersteigt sie. Jene Kahlköpfigen erzählen, was ich aber nicht glauben kann, es bewohnten diese Berge Männer mit Ziegenfüßen, und wenn man über diese hinausgehe, finde man andere Menschen, welche die sechs Wintermonate schlafen. Das kann ich aber durchaus nicht annehmen. Hingegen was ostwärts von den Kahlköpfigen liegt, wird, wie man bestimmt weiß, von Issedonen bewohnt[***] ), was aber darüber hinaus nach Norden zu liegt, über den Kahlköpfigen wie über den Issedonen, ist unbekannt, außer, was sie selbst darüber erzählen.


***
26.

Es sollen aber die Issedonen folgende Gebräuche haben. Wenn einem Mann sein Vater stirbt, so bringen alle Verwandten Vieh herbei; und wenn sie dann dasselbe zum Opfer geschlachtet und das Fleisch zerschnitten haben, zerschneiden sie auch den gestorbenen Vater ihres Wirthes; darauf mischen sie alles Fleisch durch einander und setzen es zum Mahle vor; den Kopf aber vergolden sie, nachdem sie die Haare weggenommen und ihn gereinigt haben; und hernach betrachten sie ihn wie ein Götterbild und bringen ihm jedes Jahr große Opfer. Der Sohn thut dieß dem Vater in der Weise, wie die Hellenen das Geburtsfest begehen[*] ). Auch im Uebrigen sollen sie gerecht sein und stehen die Frauen an Macht gleich den Männern. Auch diese also kennt man noch.




27.

Ueber denselben noch weiter hinaus sollen nach Angaben der Issedonen die einäugigen Menschen und die goldbewachenden Greifen[**] ) hausen; von ihnen haben die Scythen diese Nachricht erhalten und sprechen sie nach, von den Scythen haben wir Andere dieß angenommen und nennen jene auf Scythisch Arimaspen; denn Arima heißt bei den Scythen Eins und Spu das Auge.



28.-29

Das ganze eben bezeichnete Land hat einen sehr strengen Winter[***] ), in der Art, daß dort acht Monate lang eine ganz unerträgliche eisige Kälte herrscht, bei der man mit ausgeschüttete Wasser keinen Koth- bewirken wird. Dieser wird erst dann, wenn man Feuer anzündet. Das Meer aber gefriert und der ganze Cimmerische Bosporus[†] ); und auf dem Eise ziehen die innerhalb des Grabens[††] ) wohnenden Scythen zu Felde und führen ihre Wagen darüber jenseits zu den Sindern[†††] ). Also ist der Winter bei ihnen anhaltend acht Monate, und auch in den übrigen vier Monaten ist es dort kalt. Es unterscheidet aber dieser Winter in seiner Art und Weise von allen andern Wintern, wie sie in andern Gegenden vorkommen, insofern es dort während der Regenzeit gar nicht ordentlich regnet, dagegen hört während des Sommers der Regen gar nicht auf. Zu der Zeit, wo Gewitter an andern Orten entstehen, kommen sie hier gar nicht vor, im Sommer dagegen sind sie sehr stark; wenn aber im Winter ein Gewitter kommt, so gilt dieß für ein Wunderzeichen, worüber man staunt. Ebenso gilt es im Scythenlande für ein Wunderzeichen, wenn ein Erdbeben stattfindet, es sei im Sommer oder im Winter. Die Pferde ertragen die Kälte und halten einen solchen Winter aus. Maulthiere und Esel ertragen ihn aber durchaus nicht, während an andern Orten Pferde, wenn sie in eisiger Kälte stehen, zu Grunde gehen, Esel und Maulthiere aber aushalten.


***
29.

Ich glaube aber auch, daß darin der Grund liegt, warum das Rindergeschlecht abgestutzt ist und keine Hörner bekommt; zeugt doch sogar für meine Ansicht ein Wort des Homer in der Odyssee[*] ), wo es heißt:

Libyen auch, wo die Lämmer sogleich aufwachsen mit Hörnern;

was ganz richtig ist, insofern in den warmen Gegenden schnell die Hörner zum Vorschein kommen; bei strenger Kälte aber wachsen dem Vieh die Hörner entweder gar nicht, oder, wenn sie wachsen, wachsen sie kümmerlich. Hier also findet dieß in Folge der Kälte statt.




30.

Ich wundere mich aber (denn auf Zusätze der Art[**] ) hat es meine Erzählung von Anfang an abgesehen), daß in dem ganzen Lande Elis es keine Maulthiere geben kann, da doch das Land nicht kalt ist, und auch sonst kein Grund vorliegt. Die Eleer selbst behaupten, in Folge eines Fluches gäbe es bei ihnen keine Maulthiere. Daher sie auch die Stuten, wenn die Zeit herannaht, wo sie besprungen werden, zu den Nachbarn treiben und dann im benachbarten Lande von den Eseln bespringen lassen, bis daß sie trächtig geworden sind, hernach treiben sie dieselben wieder heim.



31.

Hinsichtlich der Flocken[*] ) aber, von welchen, wie die Scythen versichern, die Luft dermaßen angefüllt ist, daß man deßwegen nicht im Stande ist vorwärts im Lande zu sehen, oder durchzukommen, habe ich folgende Ansicht. In den Gegenden über diesem (bewohnten und gebauten Land) schneit es beständig, weniger im Sommer als im Winter, wie es auch natürlich ist. Wer nun schon von der Sähe aus dichten Schnee hat fallen gesehen, der weiß, was ich sage. Der Schnee nämlich gleicht den Federn; und wegen eines solchen Winters sind die nach Norden zu gelegenen Theile dieses Welttheiles unbewohnbar. Ich glaube daher, daß die Scythen und die Umwohnenden den Schnee der Aehnlichkeit wegen Federn nennen. Dieß also ist mein Bericht über das-was von den entferntesten Ländern erzählt wird.



32.-36

Ueber die Hyperboreischen Menschen[**] ) wissen weder die Scythen noch andere der dort wohnenden Völker Etwas anzugeben, außer die Issedonen; wie ich aber glaube, wissen auch sie nichts darüber anzugeben, denn sonst würden es auch die Scythen erzählen, so gut wie sie von den Einäugigen erzählen. Dagegen hat Hesiodus[*] ) von den Hyperboreern gesprochen, auch Homer[**] ) in den Epigonen, wenn anders Homer wirklich der Verfasser dieses Gedichtes ist.


***
33.

Bei weitem am meisten aber erzählen von ihnen die Delier, indem sie versichern, heilige Spenden, in Halme von Weizen eingewickelt, kämen aus dem Lande der Hyperboreer zu den Scythen; von den Scythen nehmen dann die nächsten Nachbarn dieselben in Empfang und so bringe man dieselben, von einem Volk immer zu dem andern, in den fernsten Westen bis zum adriatischen Meer; von da werden sie nach Mittag zu weiter geschickt, und zuerst unter den Hellenen von den Dodonäern[***] ) in Empfang genommen; von diesen kommen sie dann herunter zu dem Malischen Meerbusen[†)] und gehen über das Meer nach Euböa, wo eine Stadt der andern sie zuschickt bis nach Karystus[*] ); von da aus mit Uebergehung von Andrus, bringen die Karystier, wie es heißt, dieselben nach Tenos[**] ) und die Tenier nach Delos. Auf diese Weise sollen diese Opferspenden nach Delos gelangen. Zuerst aber sollen die Hyperboreer zwei Jungfrauen, welche die Delier mit dem Namen Hyperoche und Laodice bezeichnen, zur Ueberbringung dieser Opfergaben geschickt haben; und zugleich mit diesen hätten sie weiter, der Sicherheit halber fünf ihrer Mitbürger als Begleiter mitgeschickt, welche jetzt Perpherer[***] ) heißen und zu Delos in großen Ehren stehen. Als aber die Abgesendeten nicht wieder zu ihnen zurückkehrten, so hätten die Hyperboreer es sich sehr zu Herzen genommen, wenn es ihnen immer so gehen sollte, daß sie die, welche sie entsenden würden, nicht mehr wieder bekämen, und so hätten sie jene in Weizenstroh gewickelten heiligen Gaben an die Gränzen ihres Landes gebracht und ihre Nachbarn dringend gebeten, dieselben von ihnen aus weiter zu geleiten von einem Volke zum andern. Und so wären sie denn weiter geleitet worden und zuletzt nach Delos gekommen. Ich kenne selbst Etwas diesen Opfern Aehnliches, was anderswo geschieht. Wenn die Thracischen und Päonischen Frauen der königlichen Artemis Opfer darbringen, so bringen sie diese nicht dar ohne Weizenstroh. Von diesen nun weiß ich, daß sie es so machen.



***
34.

Diesen Jungfrauen zu Ehren, welche aus dem Lande der Hyperboreer gekommen und zu Delos gestorben sind, scheeren sich die Jungfrauen wie die Jünglinge der Delier das Haupthaar; jene schneiden vor der Heirath eine Locke ab, wickeln sie um eine Spindel und legen sie auf das Grabmal[†] ); dieses Grabmal ist im Innern des Heiligthums der Artemis bei dem Eintritt linker Hand und ist ein Oelbaum darauf gepflanzt; die Jünglinge der Delier aber wickeln ebenfalls eine Locke von ihren Haaren um ein gewisses Kraut und legen sie dann gleichfalls auf das Grabmal. Diese Ehren empfangen also jene Hyperboreischen Jungfrauen von den Bewohnern von Delos.



***
35.

Eben dieselben erzählen auch von zwei andern Jungfrauen, Arge und Opis, welche aus dem Hyperboreerlande auf gleichem Wege die Reise unternommen und nach Delos noch vor der Hyperoche und Laodice gekommen wären; diese nämlich seien gekommen, um der Ilithyia den bestimmten Tribut für die beschleunigte Niederkunft[*] ) darzubringen, die Arge und Opis aber wären zugleich mit den Göttern selbst[**] ) gekommen, und darum wären ihnen von Seiten der Delier andere Ehren erwiesen worden[***] ); denn die Weiber sammeln Gaben für sie und rufen sie mit ihren Namen an in dem Liede, welches Olen[†] ), ein Lycier, ihnen gedichtet hat; von ihnen haben es dann die Inselbewohner und die Jonier gelernt, welche die Opis und Arge in Liedern, in welchen sie dieselben mit Namen nennen, besingen, und für sie sammeln; es hat aber dieser Olen, welcher aus Lycien gekommen, auch die andern alten Lieder gedichtet, welche zu Delos gesungen werden; auch von den Schenkeln, welche auf dem Altare verbrannt werden, wird die Asche verwendet, um auf das Grab der Opis und Arge gestreut zu werden. Das Grab derselben befindet sich nämlich hinter dem Heiligthum der Artemis in östlicher Richtung, ganz nahe bei dem Wirthschaftsgebäude der Ceer[††).]



***
36.

Das soll nun über die Hyperboreer gesagt sein; denn von Abaris[*] ), der auch als ein Hyperboreer bezeichnet wird, erzähle ich die Sage nicht, wornach er mit seinem Pfeil herumgezogen auf der ganzen Erde, ohne irgend Etwas zu genießen Wenn es aber wirklich Hyperboreische (übernordische) Menschen gibt, so gibt es auch andere (Hypernotische) übersüdliche[**] ). Wohl aber muß ich lachen, wenn ich sehe, wie schon Viele[***] ) den Umkreis der Erde gezeichnet haben ohne allen Verstand, indem sie den Oceanus in ihrer Zeichnung rings um die Erde fließen lassen, welche völlig rund ist, wie im Kreise gedrechselt[†] ), und Asien Europa gleich machen. Denn ich will in wenigen Worten die Größe eines jeden der beiden (Welttheile) angeben, so wie auch, wie ein jeder derselben zu zeichnen ist.




37.-40

Die Wohnsitze der Perser erstrecken sich bis zu dem südlichen Meere, welches das rothe genannt wird[*] ); über diesen nach Norden zu wohnen die Meder, über den Medern die Saspiren[**] ), über den Saspiren die Kolcher[***] ), welche bis dem nördlichen Meere ) sich hinziehen, in welches der Fluß Phasis[††] ) mündet. Diese vier Völker wohnen von dem einen Meere bis zu dem andern.


***
38.

Von hier an gegen Westen ziehen sich zwei Landspitzen (Halbinseln) von demselben[†††] ) aus in's Meer, welche ich beschreiben will. Die eine derselben geht in nördlicher Richtung vom Phasis aus und zieht sich von da in das Meer hinein längs des Pontus und des Hellespontus bis zu dem Troischen Sigeum[*†] ), während sie südlich von dem Myriandrischen Busen aus, welcher bei Phönicien liegt[*††] ), sich in's Meer hineinzieht bis zu dem Triopischen Vorgebirge[*] ); es wohnen aber in dieser Halbinsel[**] ) wohl an dreißig Völkerstämme. Dieß ist also die eine der beiden Halbinseln.



***
39.

Die andere aber, welche von Persien ihren Anfang nimmt, zieht sich bis zu dem rothen Meere; es ist das Perserland und was sich daran reiht, Assyrien, und von Assyrien an weiter Arabien; sie endigt sich aber, nicht inder Wirklichkeit[***] ), sonderen nach der gewöhnlichen Annahme, in den Arabischen Meerbusen, in welchen Darius aus dem Nil einen Kanal führte[†] ). Bis Phönicien nun ist es von Persien an eine breite und weite Landesstrecke; von Phönicien aber zieht sich in Folge dieses (mittelländischen) Meeres diese Halbinsel längs des Palästinischen Syriens und Aegyptens, in welches sie endigt; in derselben sind nur drei Völker[††] ). Das ist der Theil Asiens, welcher von Persien aus westwärts liegt.



***
40.

Was aber den andern Theil Asiens betrifft, welcher über den Persern, Medern, Saspiren und Kolchern nach Osten und Sonnenaufgang zu liegt, so zieht sich von der einen (südlichen) Seite das rothe Meer hin, an der Nordseite aber das Kaspische Meer und der Fluß Araxes, welcher nach Sonnenaufgang zu fließt[†††] ). Bis nach Indien hin wird Asien bewohnt, von da an ist es nach Osten zu eine Oede, und weiß Niemand anzugeben, wie es da aussieht. Von solcher Beschaffenheit und von solche: Größe ist Asien.




41.-43

Libyen aber ist noch in der andern Halbinsel[*†] ); denn auf Aegypten unmittelbar folgt Libyen. Bei Aegypten nun ist diese Halbinsel eng; denn von diesem (mittelländischen) Meere bis in das rothe Meer sind es hunderttausend Klafter: dieß mag etwa tausend Stadien[*] ) betragen. Von der engen Strecke an ist dann aber die Halbinsel, welche Libyen genannt wird, ganz breit.


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42.

Ich wundere mich daher über diejenigen[**] ), welche abgränzen und abtheilen: Libyen, Asien und Europa; denn der Unterschied zwischen denselben ist nicht gering[***] ). In der Länge nämlich zieht sich Europa neben den beiden andern hin; hinsichtlich der Breite aber scheint es mir durchaus nicht, sich in einen Vergleich einlassen zu können. Denn Libyen gibt sich bald als ein rings vom Meer umßossenes Land zu erkennen, mit Ausnahme des Theiles, welcher an Asien gränzt, wie dieß zuerst, so weit wir wissen, Neko, der König von Aegypten, gezeigt hat, welcher, als er aufgehört hatte den Kanal zu graben, der aus dem Nil nach dem Arabischen Busen sich zieht[†] ), Phönicier auf Schiffen entsendete[††] ), und ihnen auftrug, rückwärts durch die Säulen des Herkules hindurch zu schiffen in das nördliche Meer †††) und so nach Aegypten zurückzukehren. Die Phönicier fuhren nun ab von dem rothen Meere[*†] ) aus und schifften in das südliche Meer[*††] ). Wenn es aber Herbst ward, so hielten sie an und besäeten das Land, wo sie gerade jedesmal in Libyen sich befanden, und warteten die Erndte ab; nachdem sie die Frucht eingeerndtet hatten, schifften sie dann weiter, so daß sie nach Ablauf von zwei Jahren im dritten Jahre bei den Säulen des Herkules einlenkten und in Aegypten ankamen. Und sie behaupteten, was mir jedoch nicht glaubwürdig erscheint, vielleicht aber irgend einem Andern, sie hätten auf ihrer Fahrt um Libyen herum die Sonne zur Rechten gehabt[*] ). Also ward dieser Theil der Erde zuerst bekannt.



***
43.

Nachher aber sind es die Carthager, welche davon[**] ) erzählen obwohl Sataspes, der Sohn des Teaspis, aus dem Stamme der Achämeniden, um Libyen nicht gänzlich herumschiffte, ungeachtet er zu diesem Zweck abgeschickt worden war, sondern aus Furcht vor der Länge der Fahrt und vor der Oede wieder zurückkehrte und so die Aufgabe nicht ausführte, welche ihm seine Mutter auferlegt hatte. Er hatte nämlich einer Jungfrau, der Tochter des Zopyrus, des Sohnes des Megabyzus, Gewalt angethan, und als er darauf um dieser Ursache willen von König Xerxes an dem Pfahl aufgespießt[*] ) werden sollte, so legte seine Mutter, welche eine Schwester des Darius war, Fürbitte ein und versprach, selbst ihrem Sohne eine größere Strafe aufzuerlegen, als Jener: er sollte nämlich gezwungen werden, um Libyen herumzuschiffen, bis daß er, in seiner Fahrt um dasselbe, in den Arabischen Meerbusen gelangt sei. Als darauf hin Xerxes einwilligte, so ging Sataspes nach Aegypten, nahm von da ein Schiff und Schiffsleute, mit welchen er dann nach den Säulen des Herkules abfuhr. Als er durch dieselben gefahren und um das Vorgebirge von Libyen, welches Soloeis heißt[**] ), umgebogen, setzte er die Fahrt nach Mittag zu fort; nachdem er aber eine große Strecke Meeres in vielen Monaten durchschifft hatte und noch immer mehr durchschiffen mußte, so kehrte er um und fuhr nach Aegypten zurück. Von da eilte er zu dem König Xerxes und erzählte ihm, wie er in weiter Ferne an kleinen Menschen[***] ) vorbeigeschifft wäre, welche eine Kleidung von Palmen trügen und, so oft sie mit dem Schiffe dem Lande sich genähert, die Flucht zu den Bergen ergriffen und ihre Städte verlassen hätten; sie wären dann in dieselben gegangen, ohne irgend Etwas ihnen anzuthun; nur Vieh hätten sie daraus weggenommen. Als Grund der nicht vollständig ausgeführten Umschiffung Libyens gab er an, daß das Schiff nicht weiter habe vorwärts kommen können, sondern aufgehalten worden sei[†] ). Xerxes aber, welcher sich nicht überzeugen konnte, daß er die Wahrheit sage, ließ ihn, weil er die ihm gestellte Aufgabe nicht vollführt, an den Pfahl aufspießen, indem er die frühere Strafe über ihn verhängte. Ein Verschnittener dieses Sataspes entlief, sowie er von dem Tode seines Gebieters Nachricht erhalten, nach Samus mit großen Schätzen, in deren Besitz ein Samier gelangte, dessen Namen ich wohl kenne, aber gerne nicht anführen will.




44.-45

Die meisten Theile Asiens sind von Darius entdeckt worden, welcher gern zu wissen wünschte, wo der Fluß Indus, welcher allein unter allen Flüssen nächst dem Nil Krokodile enthält, in's Meer auslaufe, und deßhalb mehrere Andere, zu denen er das Vertrauen hatte, daß sie die Wahrheit sagen würden, mit Schiffen aussendete, insbesondere auch den Scylax aus Karyanda. Dieser fuhr mit seinen Leuten von der Stadt Kaspatyrus und der Paktyischen Landschaft[*] ) aus den Strom hinunter in der Richtung nach Osten und Sonnenaufgang bis in's Meer; dann schifften sie durch das Meer in westlicher Richtung und gelangten im dreißigsten Monate an eben den Platz, von welchem aus der Aegyptische König die Phönicier, von welchen ich vorher sprach, zur Umschiffung Libyens entsendet hatte. Nachdem diese nun herumgeschifft waren, unterwarf Darius die Inder und beschiffte auch dieses Meer. Auf diese Weise hat man gefunden, daß auch die andern Theile Asiens, mit Ausnahme der nach Sonnenaufgang hin liegenden, eine ähnliche Beschaffenheit haben, wie



45.

Von Europa dagegen weiß offenbar Niemand, in Bezug auf die nach Sonnenaufgang wie nach Norden gelegenen Theile, ob es umflossen ist; nur das weiß man, daß es seiner Länge nach an beiden (Welttheilen) sich hinzieht. Auch kann ich mir gar nicht denken, warum die Erde, die doch nur Eine ist, drei verschiedene Namen trägt, welche von Weibern genommen sind, und warum man als Gränzen ihr gesetzt hat den Aegyptischen Fluß Nil und den Kolchischen Phasis, für welchen Einige auch den Mäotischen Tanais und die Cimmerische Furth[*] ) angeben; eben so wenig konnte ich die Namen derer erfahren, welche die Gränzen bestimmt, und woher sie die Benennungen genommen haben. Libyen soll, wie die meisten Hellenen versichern, nach der Libya, einem eingebornen Weibe, seinen Namen erhalten haben, Asien aber seinen Namen nach dem Weibe des Prometheus[**] ). Zwar machen auch die Lydier auf diesen Namen Anspruch, indem sie vorgeben, nach dem Asias, dem Sohne des Kotys[***] ), des Sohnes des Manes, sei Asien benannt worden, und nicht nach der Asia, der Frau des Prometheus, und wäre nach jenem auch der Asische Stamm in Sardes benannt worden[†] ). Von Europa nun weiß kein Mensch, ob es umflossen ist und woher es diesen Namen erhalten; auch ist es nicht bekannt, wer der war, welcher ihm denselben gegeben hat, wenn wir nicht annehmen wollen, daß das Land von der Europa aus Tyrus[††] ) seinen Namen bekommen; dann wäre es vorher namenlos gewesen, so gut wie die (beiden) andern (Welttheile). Aber es ist ja doch bekannt, daß diese aus Asien war und nicht in das Land kam, welches jetzt von den Hellenen Europa genannt wird, sondern sie kam nur aus Phönicien nach Kreta, aus Kreta aber nach Lycien. So viel soll darüber gesagt sein, denn wir wollen bei dem bleiben, was allgemein darüber angenommen wird[†††] ).



46.

Der Pontus Euxinus[*] ), nach welchem hin Darius zu Felde zog, enthält unter allen Ländern, mit Ausnahme des Scythischen, die ungebildetsten Völker: denn wir vermögen nicht, irgend ein Volk von denen, welche innerhalb des Pontus wohnen, anzugeben hinsichtlich seiner Weisheit, noch kennen wir dort irgend einen wohlerfahrenen Mann, außer dem Scythischen Volk und Anacharsis[***] ). Das Scythenvolk nämlich hat eine Erfindung, die größeste unter allen menschlichen Dingen, auf's klügste unter Allen, die wir kennen, gemacht; alles Andere schlage ich nicht hoch an: diese größeste Erfindung, die sie gemacht, besteht darin, daß Niemand, der zu ihnen eingedrungen, entfliehen kann, und daß es eben so unmöglich ist, Jemand zu fassen, wenn er sich nicht finden lassen will. Denn Leute, welche weder Städte, noch Vesten besitzen, sondern alle in tragbaren Wohnungen leben und Bogenschützen zu Pferd sind, nicht vom Ackerbau, sondern von der Viehzucht leben, und ihre Häuser auf Wagen haben, sollten diese nicht unbesiegbar sein und schwer zu einem Kampf in der Nähe zu bringens



47.

Sie haben aber dieß erfunden, weil das Land dazu paßt und auch die Flüsse ihnen dazu behülflich sind. Denn es dieses Land ganz eben, mit Gras bewachsen und wohl bewässert, indem Flüsse durch dasselbe strömen, deren Zahl nicht viel geringer ist als die der Kanäle in Aegypten; diejenigen von ihnen, welche nennenswerth sind und vom Meere aus zu beschiffen, will ich mit Namen angeben: der Ister mit fünf Mündungen, nachher der Tyras und Hypanis, der Borysthenes, der Pantikapes, der Hypakyris, Gerrhus und Tanais. Diese fließen in folgender Weise:



48.

Der Ister ***), welcher der größeste unter allen Flüssen ist, die wir kennen, fließt sich stets gleich im Sommer wie im Winter *); er ist unter den Flüssen Scythiens der erste, welcher von Westen kommt, und ist insofern der größeste geworden, als auch andere Flüsse in ihn sich ergießen; es sind aber folgende, die ihn groß machen: fünf, welche durch das Scythische Land fließen, der Porata, wie ihn die Scythen nennen, oder Pyretus, wie ihn die Griechen nennen[**] ), dann der Tiarantus[***] ), der Ararus, Naparis und Ordessus. Der erste unter den genannten Flüssen, welcher groß ist und in östlicher Richtung fließt, theilt dem Ister sein Wasser mit, der an zweiter Stelle genannte Tiarantus fließt mehr nach Abend zu und ist kleiner; der Ararus, Naparis und Ordessus ) fließen in der Mitte zwischen diesen und ergießen sich ebenfalls in den Ister. Diese inländischen Flüsse Scythiens füllen ihn mit ihren Gewässern an.



49.

Von den Agathyrsen kommt der Fluß Maris[††] ) und vereinigt sich mit dem Ister; von den Gipfeln des Hämus[†††] ) kommen aber drei andere große Flüsse, welche in nördlicher .Richtung fließen, und in ihn sich ergießen, der Atlas, Auras und Tibisis[*†] ); durch Thracien und das Gebiet der Thracischen Krobyzen fließen der Athrys, Noes und Artanes, und ergießen sich dann in den Ister; von den Päonen und von dem Gebirge Rhodope kommt der Fluß Skius[*] ), welcher den Hämus in der Mitte durchschneidet und in den Ister sich ergießt. Von den Illyriern kommt in nördlicher Richtung strömend der Fluß Angrus[**] ), welcher in die Triballische Ebene einfällt und in den Fluß Brongus, welcher in den Ister sich ergießt; auf diese Weise nimmt der Ister beide Flüsse, welche bedeutend sind, auf. Von dem Lande, das über den Umbrern[***] ) liegt, kommt der Fluß Karpas und ein anderer Fluß Alpis, welche beide, in nördlicher Richtung fließend, gleichfalls in den Ister einmünden. Der Ister nämlich fließt durch ganz Europa, nachdem er seinen Anfang genommen von den Kelten[†] ). welche nach den Kyneten unter allen Völkern Europa's am äußersten nach Sonnenuntergang zu wohnen; so fließt er durch ganz Europa und wirft sich dann auf die Flanken von Scythien.



50.

Von diesen, den genannten Flüssen und vielen andern, welche ihr Wasser zusammenwerfen, wird der Ister zum größesten der Flüsse. Denn, wenn man das Wasser des einen der beiden Ströme mit dem andern vergleicht, so überragt der Nil an Wassermenge den Ister; in den Nil jedoch ergiebt sich kein Fluß und keine Quelle, die seiner Wasserfülle Etwas zusetzt. Daß aber der Ister stets gleich fließt im Sommer und im Winter[††] ), hat, wie ich glaube, folgenden Grund. Im Winter ist er groß, wie er nur immer an sich ist, und wenig über seine natürliche Größe; denn es wird dieses Land im Winter nur ganz wenig beregnet, während es in einem fort schneit; im Sommer aber schmilzt der Schnee, welcher in gewaltigen Massen im Winter gefallen ist, und ergießt sich von allen Seiten her in den Ister; dieser Schnee, welcher in den Ister fällt, macht ihn anschwellen, eben so die vielen und starken Regengüsse zugleich mit dem Schnee: den Sommer hindurch regnet es. So viel Wasser mehr nun im Sommer die Sonne an sich zieht als im Winter, gerade so viel betragen die mannichfachen Zuflüsse, welche der Ister im Sommer mehr als im Winter bekommt; hält man dieß aber gegen einander, so gleicht es sich gegenseitig aus, und es wird klar, warum er stets gleich fließt.



51.

Einer also von den Flüssen im Scythenland ist der Ister; nach diesem folgt der Tyres[*] ), welcher von Norden her kommt und aus einem großen See hervorgeht[**] ), welcher die Gränze des Scythischen und Neurischen Landes bildet; an seiner Mündung wohnen Hellenen, welche Tyriten genannt werden.



52.

Der dritte Fluß Hypanis[***] ) kommt aus dem Scythischen Lande und fließt aus einem großen See ab, um welchen rings herum wilde weiße Roße weiden; dieser See heißt ganz richtig Mutter des Hypanis; aus diesem See geht der Fluß Hypanis hervor und fließt dann in einer Fahrt von fünf Tagen seicht und noch mit süssem Wasser, von da an aber nach dem Meere zu in einer Fahrt von vier Tagen ist er gewaltig bitter; denn es ergießt sich in ihn eine bittere Quelle, welche so bitter ist, daß sie, obwohl an Umfang gering, doch mit dem ganzen Hypanis sich vermischt, welcher ein so bedeutender Fluß ist, wie wenige. Es befindet sich diese Quelle an der Gränze des Landes der ackerbauenden Scythen und der Alazonen; der Name der Quelle, sowie der Stelle, von welcher sie kommt, lautet auf Scythisch Exampaios, nach der Helenen Sprache heißt es: heilige Wege. Es nähern sich aber bei den Alazonen[*] ) der Tyres und der Hypanis in ihrem Laufe; von da an jedoch wenden sie sich und fließt ein jeder von beiden in einem weiten Zwischenraum von dem andern.



53.

Der vierte Fluß ist der Borysthenes[**] ), welcher nach dem Ister der größte ist unter diesen Flüssen und nach meiner Ueberzeugung auch derjenige, welcher die meisten Vortheile bietet, nicht blos unter den Scythischen Flüssen, sondern auch unter allen andern, mit Ausnahme des Aegyptischen Nils: denn mit diesem läßt sich kein anderer Strom vergleichen; unter den übrigen Flüssen ist der Borysthenes der nützlichste, da er die schönsten und für das Vieh zuträglichsten Weiden bietet und entschieden die besten und zahlreichsten Fische enthält, auch ist sein Wasser sehr angenehm zu trinken, und fließt er ganz klar neben trüben Gewässern, daher auch an seinen Ufern die Frucht trefflich gedeiht, und da, wo das Land nicht besäet wird, wächst ein sehr hohes Gras; an seiner Mündung aber bildet sich von selbst Salz in Masse; dort sind auch große Seefische ohne Gräten, welche Antakäen heißen und zum Einsalzen dienen, und noch manche andere bewundernswerthe Dinge. Bis zu dem Lande Gerrhus, wohin eine Fahrt von vierzig Tagen ist, kennt man seinen Lauf von Norden her; durch welche Völker er aber darüber hinaus seinen Lauf nimmt, vermag Niemand anzugeben. Offenbar aber fließt er durch eine Wüste in das Land der feldbauenden Scythen; denn diese Scythen wohnen an seinem Ufer eine Fahrt von zehn Tagen lang. Allein von diesem Fluß und von dem Nil vermag ich die Quellen nicht anzugeben, ich glaube aber. kein einziger Hellene vermag es. In seinem weiteren Laufe kommt der Borysthenes nahe an's Meer und vereinigt sich mit ihm der Hypanis, welcher in denselben Sumpf[*] ) mündet. Was zwischen den beiden Flüssen liegt und als eine Landspitze erscheint, wird das Vorgebirg des Hippolaus genannt[**] ); auf demselben ist ein Heiligthum der Göttermutter[***] ) errichtet; jenseits desselben am Hypanis sind die Wohnsitze der Borystheniten[†] ). Das ist es, was von diesen Flüssen zu bemerken ist.



54.

Nach diesen der fünfte Fluß ist der, welcher den Namen Pantikapes[††] ††) führt; auch er fließt von Norden her und kommt aus einem See. Das Land zwischen diesem Fluß und dem Borysthenes bewohnen die landbauenden Scythen; dann tritt er heraus in die Landschaft Hyläa[†††] †††), und wenn er dieselbe durchzogen hat, vereinigt er sich mit dem Borysthenes.



55.

Der sechste Fluß ist der Hypakyris[*†] †), welcher aus einem See kommt und seinen Lauf mitten durch das Gebiet der nomadischen Scythen nimmt; bei der Stadt Carcinitis ergießt er sich in's Meer, rechts die Landschaft Hyläa und den sogenannten Achilleslauf[*††] ††) von einander scheidend.



56.

Der siebente Fluß Gerrhus[*†††] ) trennt sich von dem Borysthenes an der Stelle des Landes, bis zu welcher der Lauf des Borysthenes bekannt ist; von dieser Gegend an trennt er sich und führt er denselben Namen Gerrhus, wie diese Gegend. In seinem weitern Laufe nach dem Meere zu bildet er die Gränze des Landes der nomadischen und der königlichen Scythen, und ergießt sich dann in den Hypakyris.



57,

Der achte Fluß nun ist der Tanais[*] ), welcher, was Seinen oberen Lauf betrifft, aus einem großen See kommt und dann in einen noch größeren See, den sogenannten Mäotischen, sich ergießt, welcher die Gränze zwischen den königlichen Scythen und den Sauromaten[**] ) ausmacht; in diesen Tanais ergießt sich noch ein anderer Fluß, welcher den Namen Hyrgis[***] ) hat.



58.

Dieß sind die nennenswerthen Flüsse, mit welchen Scythien auf diese Weise versehen ist; für das Vieh aber ist das Gras, welches im Scythenlande aufschießt, dasjenige, welches unter allen Gräsern am meisten Galle erzeugt; öffnet man das Vieh, so kann man wahrnehmen, daß es sich so verhält.



59,

Auf diese Weise sind sie[†] ) nun in den wichtigsten Dingen ganz wohl versorgt; im Uebrigen aber bestehen bei ihnen die folgenden Gebräuche. Sie verehren allein folgende Gottheiten: die Histia vorzüglich, alsdann den Zeus und die Erde, weil sie glauben, daß die Erde des Zeus Weib sei; nach diesen den Apollo und die Aphrodite Urania, den Herkules und Ares. Diese Gottheiten verehren herkömmlich alle Scythen; die sogenannten königlichen Scythen opfern auch dem Poseidon. Es heißt aber die Histia auf Scythisch Tahiti, Zeus wird ganz richtig, nach meiner Ansicht wenigstens, Papäus genannt, die Erde Apia, Apollo Ditosyrus, Aphrodite Urania Artimpasa, Poseidon Thamimasadas. Bilder und Altäre und Tempel pflegen sie nicht zu errichten, außer dem Ares zu Ehren, bei diesem ist es üblich[††] ),



60.

Die Opferung ist bei Allen eine und dieselbe gleis mäßig bei allen heiligen Handlungen, und geschieht in folgender Weise. Das Opferthier selbst steht da mit gebundenen Vorderfüßen; der Opfernde aber steht hinter dem Thier, und indem er am Anfang des Strickes zieht, wirft er es nieder; während aber das Thier fällt, ruft er die Gottheit an, welcher er das Opfer bringt; alsdann wirft er einen Strick um den Hals des Thieres, steckt einen Stock hinein, dreht denselben herum und erstickt das Thier, ohne dabei ein Feuer anzuzünden, oder eine Weihung vorzunehmen, oder eine Spende zu machen; so wie er aber das Thier erwürgt und die Haut abgezogen hat, schreitet man zum Abkochen.


***
61.-61

Weil aber im Scythischen Lande ein gewaltiger Mangel an Holz ist[*] ), so hat man zum Kochen des Fleisches folgende Einrichtung erfunden. Wenn sie die Haut des Thieres abgezogen haben, nehmen sie von den Knochen das Fleisch weg, hernach werfen sie dasselbe in die landesüblichen Kessel, wenn anders deren besitzen; dieselben sind den Lesbischen Mischkrügen ähnlich, nur sind sie viel größer; in solche Kessel also werfen das Fleisch zum Kochen, und machen darunter ein Feuer von den Knochen der Opferthiere. Haben sie aber gerade keinen Kessel zur Hand, so werfen sie alles Fleisch in den Bauch des Opferthieres, gießen dann etwas Wasser dazu und machen ein Feuer darunter von den Knochen. Diese brennen aber ganz herrlich und der Bauch faßt leicht das von den Knochen entblößte Fleisch. So kocht das Rind sich selber gar, und ebenso jedes andere Opferthier. Wenn aber das Fleisch gekocht ist, so bringt der, welcher geopfert hat, vom Fleisch und von den Eingeweiden die Erstlingsgaben dar, indem er sie vor sich hin wirft. Sie opfern übrigens außer anderem Vieh auch insbesondere Pferde,




62.

Allen andern Göttern opfern sie in dieser Weise und von diesem Vieh, dem Ares aber auf folgende Weise. In jedem Gau ist auf dem Gemeindeplatz ein Heiligthum des Ares in solcher Art errichtet. Bündel von Reis sind aufeinander gehäuft, etwa drei Stadien in der Länge und Breite, etwas weniger in die Höhe; oben darauf ist eine viereckige ebene Fläche gemacht, welche von drei Seiten abschüssig ist, an der vierten Seite kann man hinaufgehen. In jedem Jahr legen sie hundertfünfzig Wagen voll Reisbündel darauf; denn es nimmt das Ganze stets ab durch die schlimme Witterung. Auf dieser Erhöhung nun ist von jedem Gaue ein altes eisernes Schwert[*] ) aufgerichtet, und dieses ist das Bild des Ares. Diesem Schwert bringen sie alljährlich Opfer von Vieh und Pferden; ja sie bringen ihm nach mehr Opfer dar als den übrigen Göttern. Von allen Feinden, welche sie lebendig gefangen haben, opfern sie auf hundert einen Mann, aber nicht auf dieselbe Weise wie das Vieh, sondern auf eine andere. Sie gießen nämlich Wein als Spende über die Häupter der Gefangenen, und schlachten dieselben dann ab über ein Gefäß[**] ); dieses tragen sie hernach auf den Hügel der Reisbündel und schütten das Blut über das Schwert. Während sie dieses nun hinauf tragen, so thun sie unten an dem Heiligthum Folgendes: allen den abgeschlachteten Männern hauen sie die rechten Schultern ab, und werfen sie mit den Händen in die Luft; alsdann, wenn sie die übrigen Opfer verrichtet haben, gehen sie weg; der Arm aber bleibt da liegen, wo er hingefallen ist, und eben so auch der Leichnam besonders.



63.

Diese Opfer nun bestehen bei ihnen; Schweine zu opfern ist nicht üblich und wollen sie überhaupt gar keine in ihrem Lande ziehen,



64.-66

In Bezug auf den Krieg besteht bei ihnen folgende Sitte. Wenn ein Scythe seinen ersten Gegner erlegt hat, so trinkt er von dessen Blut; die Köpfe aber von allen denen, welche er in der Schlacht getödtet hat, bringt er dem Könige; denn wenn er den Kopf gebracht hat, so hat er Antheil an der Beute, die sie machen, andernfalls aber nicht. Die Haut zieht er von dem Kopf auf folgende Weise ab: er macht einen Einschnitt rings herum um die Ohren, faßt dann den Kopf und schüttelt ihn heraus; nachher schabt er mittelst einer Ochsenrippe das Fleisch weg und gerbt die Haut mit den Händen; ist auf diese Weise mürbe gemacht, so gebraucht er sie wie ein Handtuch; an die Zügel des Pferdes, das er reitet, bindet er sie an und ist stolz darauf. Denn wer die meisten solcher Handtücher von der Kopfhaut besitzt, der gilt für den tapfersten Mann. Viele von ihnen verfertigen auch Kleider aus solchen Fellen zum Anziehen, indem sie dieselben zusammennähen, wie die Mäntel der Hirten. Viele ziehen von der rechten Hand der Leichname ihrer Feinde die Haut ab mit sammt den Nägeln, und verfertigen sich daraus Ueberzuge ihrer Köcher; die Menschenhaut nemlich ist eben so dick als glänzend, und übertrifft an glänzendem Weiß fast alle Felle. Viele endlich ziehen auch von ganzen Menschen die Haut ab, spannen sie dann auf Bretter und ziehen so mit derselben auf ihren Pferden herum. Dieß nun ist bei ihnen also gebräuchlich.


***
65.

Mit den Köpfen selbst aber, nicht Sowohl aller Menschen, sondern ihrer ärgsten Feinde, machen sie es also. Ein Jeder sägt Alles, was unterhalb der Augenbrauen des Schädels ist, ab und reinigt denselben; ist er ein armer Mann, so zieht er blos ein Rindsfell von außen darum und gebraucht es so; ist er aber ein reicher, so zieht er auch ein Rindsfell darum, aber von innen vergoldet er den Schädel und gebraucht ihn als Trinkgefäß[*] ). Sie thun dieß auch bei ihren Anverwandten, wenn sie mit denselben in Streit gerathen sind, und der Eine über den Andern nach dem Spruch des Königs Gewalt bekommen hat. Kommen zu ihnen Gäste, auf welche man Werth legt, so trägt man diese Köpfe herum und bemerkt dabei, daß dieß Verwandte gewesen, welche einen Krieg angefangen, aber von ihnen überwunden worden, was man als eine tapfere That bezeichnet.



***
66.

Einmal im Jahre mischt ein jeder Gau-Vorsteher in seinem Gau einen Krug Wein, von welchem alle die Scythen trinken, von welchen Feinde erschlagen worden sind; diejenigen, welche dieß noch nicht gethan haben, kosten nicht von diesem Wein, sondern sitzen bei Seite ungeehrt: es ist dieß nemlich die größeste Schmach. Alle diejenigen aber, welche recht viele Feinde erschlagen haben, haben ein Jeder sogar zwei Becher und trinken zugleich daraus.




67.

Weissager haben die Scythen in Menge, welche aus einer Menge von Weidenruthen also weissagen[**] ). Sie bringen große Bündel von Ruthen herbei, legen dieselben auf die Erde, machen sie dann auseinander, und bei jeder einzelnen Ruthe, welche sie hinlegen, weissagen sie. Während des Sprechens sammeln sie wieder die Ruthen und legen sie dann eine auf die andere wieder zusammen. Das ist ihre Weissagung, welche sie von den Vätern überkommen haben. Die Enareer[***] ) dagegen, die Mannweiber, welchen, wie sie vorgeben, Aphrodite die Weissagung verliehen hat, weissagen aus der Rinde der Linde; sie spalten dieselbe nemlich dreifach, wickeln sie dann um ihre Finger, und während sie dieselben abwickeln, weissagen sie.



68.-69

Wenn der König der Scythen erkrankt ist, so läßt er von den Sehern drei zu rufen, welche am meisten im Ansehen stehen, und auf die angegebene Weise wahrsagen; gewöhnlich nun sagen sie, es habe Der und Der bei dem Heerde des Königs[*] ) einen Meineid geschworen, wobei sie einen von den Bürgern angeben, den sie mit Namen nennen. Bei dem Heerde des Königs schwört man nemlich nach Scythischer Sitte zunächst dann, wenn man den höchsten Eid schwören will. Derjenige, von welchem die Seher behaupten, er habe einen Meineid geschworen, wird sogleich ergriffen und herbeigeführt; so wie er angekommen, suchen die Seher darzuthun, wie es in der Wahrsagung offenbar geworden, daß er einen Meineid bei dem königlichen Heerde geschworen und deßwegen der König leidend sei; dieser aber leugnet es dann, indem er versichert, nicht falsch geschworen zu haben, und jammert sehr. Auf sein Leugnen läßt der König andere Wahrsager in doppelter Anzahl holen; und wenn auch diese, nachdem sie in die Wahrsagung einen Blick geworfen, ihn des Meineids überführen, so haut man ihm sogleich den Kopf ab, und die ersten Wahrsager verloosen seine Habe. Wenn aber die nachher gekommenen Wahrsager ihn frei sprechen, so kommen andere Wahrsager und immer wieder andere. Spricht die Mehrzahl nun den Menschen frei, so ist festgesetzt, daß die ersten Wahrsager selbst sterben müssen.


***
69.

Man bringt sie dann auf folgende Weise um's Leben. Sie füllen einen Wagen mit Reisig und spannen Ochsen daran; die Seher aber mit geknebelten Füßen, auf den Rücken gebundenen Händen und mit verstopftem Munde stecken sie mitten in das Reisig hinein und zünden dasselbe an; die Ochsen aber werden dadurch scheu und wollen davon laufen. Manche Ochsen verbrennen nun zugleich mit den Sehern, manche aber kommen mit einer Versengung davon, wenn ihre Deichsel abgebrannt ist. Auf die angegebene Weise bringen sie auch um anderer Ursachen willen die Seher um's Leben, indem sie dieselben Lügenpropheten nennen. Es läßt aber der König nicht einmal die Söhne derjenigen, welche er umbringen läßt, am Leben, sondern alles Männliche tödtet er, dem Weiblichen aber thut er kein Leid an.




70.

Einen Bund schließen die Scythen mit denen, mit welchen sie ihn eingehen, auf folgende Weise: sie gießen in einen großen irdenen Pokal Wein, welchen sie mit dem Blute derer, die den Bund mit einander schließen, vermischen, indem sie mit dem Pfriemen ritzen oder mit einem Messer einen kleinen Einschnitt am Körper machen, und dann tauchen sie in den Pokal ein Schwert, Pfeile, eine Axt und einen Wurfspieß. Ist dieß geschehen, so halten sie lange Gebete und hernach trinken sowohl diejenigen selbst, welche mit einander den Bund schließen, als die Angesehensten ihres Gefolges.



71.-72

Die Begräbnisse der Könige sind im Lande der Gerrhen[*] ), so weit als der Borysthenes schiffbar ist. Dort graben sie, wenn ihr König gestorben ist, eine große viereckige Grube in die Erde. Haben sie diese fertig gemacht, so nehmen sic den Leichnam, dessen Leib mit Wachs überkleidet, der Bauch aber aufgeschnitten und gereinigt, dann mit gestoßenen Cypern, Räucherwerk, Samen von Eppich und Dill angefüllt und wieder zugenäht ist; und bringen dann den Leichnam in einem Wagen zu einem andern Volk. Diejenigen nun, welche den zu ihnen gebrachten Leichnam empfangen, thun dasselbe, was die königlichen Scythen; sie schneiden sich Etwas vom Ohr ab, nehmen ringsherum die Haare ab, machen in die Arme Einschnitte, zerkratzen sich Stirn und Nase und treiben sich durch die linke Hand hindurch Pfeile. Von da bringen sie zu Wagen den Leichnam des Königs zu einem andern Volke, über das sie gebieten: es folgen ihnen dabei die, zu welchen sie vorher kamen. Wenn sie nun so mit der Leiche durch Alle hindurchgezogen sind, so befinden sie sich bei den Gerrhen, welche unter allen den Völkern, über welche sie gebieten, am äußersten wohnen, und bei den Begräbnissen. Hernach legen sie den Leichnam in dem Grabe auf eine Streu und stecken zu beiden Seiten desselben Lanzen auf, spannen Bretter darüber, und machen dann mit Flechtwerk eine Decke darüber. In dem übrigen weiten Raume des Grabes begraben sie[*] ) eine von den Kebsweibern (des Königs), welche sie vorher erwürgt haben, ebenso den Mundschenk, den Koch, den Stallmeister, Kammerdiener, Botschaftenbringer ) und Pferde, sowie Erstlinge von allem andern, auch goldene Schalen; nur kein Silber oder Erz wenden sie dabei an. Wenn sie das gethan haben, so schütten Alle einen großen Erdhaufen auf, wetteifernd mit einander, und geben sich Mühe, denselben recht groß zu machen.


***
72.

Nach Ablauf eines Jahres aber thun sie hinwiederum Folgendes: sie ergreifen von den übrigen Dienern die geschicktesten; es sind dieß aber einzelne Scythen, denn es dienen nur diejenigen, welchen der König es befiehlt; um Silber gekaufte Diener haben sie nicht; von diesen Dienern nun erwürgen sie fünfzig und ebenso hundert durch Schönheit ausgezeichnete Pferde, deren Leib sie, nachdem sie Alles herausgenommen, reinigen, mit Streu ausfüllen und dann zusammennähen; hernach stellen sie die Hälfte eines Reifes rückwärts gebogen auf zwei Hölzer und die andere Hälfte des Reifes auf zwei andere und befestigen auf solche Weise sehr viele; alsdann treiben sie dicke Hölzer durch die Pferde der Länge nach bis zu dem Hals und bringen die Pferde auf die Reife hinauf, so daß die vorderen Reife die Schultern der Pferde halten, die hinteren aber den Bauch bei den Schenkeln tragen; beide Beine aber hängen schwebend in der Luft; hierauf legen sie den Pferden Zügel und Gebiß an, welche sie dann nach vorne ziehen und an Nägel anbinden. Einen jeden der fünfzig erwürgten Jünglinge setzen sie darauf auf das Pferd, und das machen sie auf folgende Weise: sie ziehen durch einen jeden Leichnam neben dem Rückgrat ein gerades Holz bis zum Hals, und was von diesem Holz unten hervorragt, stecken sie in das Loch des andern Holzes, welches durch das Pferd geht. Nachdem sie aber ringsherum um das Grab solche Reiter aufgestellt, ziehen sie von dannen.




73.

Auf diese Weise beerdigen sie die Könige; die übrigen Scythen aber, wenn sie gestorben sind, legen die nächsten Anverwandten auf Wagen und führen sie bei den Freunden herum; ein Jeder von diesen nimmt sie auf und bewirthet das Gefolge, auch dem Leichnam setzt man von Allem vor, was man den übrigen vorsetzt. Auf diese Weise werden die gewöhnlichen Leute vierzig Tage lang herumgeführt und dann beerdigt. Nach der Beerdigung aber reinigen sich die Scythen auf folgende Weise: sie reiben sich zuerst den Kopf und waschen ihn ab, hernach thun sie am Leibe Folgendes: sie stellen drei Stangen auf, welche einander zugekehrt sind; alsdann breiten sie wollene Decken darüber aus, diese stopfen sie so fest als möglich zusammen und werfen dann Steine, die von Feuer glühend sind, in eine Wanne, welche in der Mitte zwischen den Stangen und der Decke liegt.



74.

Es wächst nemlich in ihrem Lande Hanf, welcher dem Linnen ganz ähnlich ist, mit Ausnahme der Dicke und Größe, worin dasselbe der Hanf bei weitem übertrifft; es wächst derselbe theils von selbst, theils wird er gesäet, und verfertigen sich daraus die Thracier sogar Kleider, welche den linnenen ganz ähnlich sind, so daß, wer nicht ganz genau den Hanf kennt, nicht unterscheiden kann, ob Etwas von Linnen oder von Hanf ist; wer den Hanf nicht kennt, wird glauben, das Kleid sei von Linnen.



75.

Von diesem Hanf nehmen nun die Scythen den Samen, und schlüpfen dann unter die Decken; hernach werfen sie den Samen auf die durch Feuer glühenden Steine; der hingeworfene Samen fängt an zu rauchen und verbreitet einen solchen Dampf, daß kein Hellenisches Schwitzbad darüber gehen dürfte; die Scythen aber brüllen vor Freude über ein solches Schwitzbad: denn es dient ihnen statt eines Bades, weil sie nemlich überhaupt ihren Leib mit Wasser nicht waschen. Ihre Weiber zerreiben auf einem harten Stein Cypressen, Cedern- und Weihrauch ,Holz, wozu sie Wasser gießen, und diese geriebene Masse, welche dick ist, legen sie hernach um den ganzen Leib und um das Gesicht. Davon bekommen sie nun einen guten Geruch; am andern Tage nehmen sie die aufgelegte Masse weg und werden rein und glänzend.



76.-77

Auch die Scythen meiden es außerordentlich, fremde Gebräuche anzunehmen und zwar nicht blos von andern Völkern, sondern insbesondere von den Griechen, wie sie bei Anacharsis[*] ), und zum zweitenmal bei Scyles wieder gezeigt haben. Anacharsis nemlich, nachdem er sich in vielen Ländern umgesehen und in denselben viele Beweise seiner Weisheit abgelegt hatte, war auf der Rückkehr in die Scythische Heimath begriffen und hielt auf der Fahrt dahin durch den Hellespont bei Cyzicus an, wo er fand, daß die Bewohner der Stadt der Göttermutter ein Fest auf eine sehr glänzende Weise feierten; da flehete Anacharsis zu der Göttermutter, wenn er in seine Heimath wohlbehalten und gesund zurückkehre, so wolle er auf dieselbe Weise, wie er die Cyzicener thun sah, ein Opfer ihr bringen und eine nächtliche Feier anordnen. Als er nun nach Scythien gekommen und in die sogenannte Hyläa[**] ), welche bei des Achilles Lauf[***] ) liegt und ganz voll von mancherlei Bäumen ist, eingetreten war, so vollzog er das ganze Fest der Göttin zu Ehren, wobei er eine Handpauke hatte und mit heiligen Bildern behangen war. Einer der Scythen aber, welcher bemerkte, was er that, machte dem König Saulius die Anzeige, und dieser, als er selbst gekommen war und gesehen hatte, was Anacharsis that, tödtete ihn mit einem Bogenschuß. Noch jetzt, wenn Jemand nach dem Anacharsis fragt, behaupten die Scythen, sie kennten ihn nicht, eben darum, weil er aus ihrem Lande nach Hellas gereist und fremde Gebräuche angenommen. Wie ich aber von Timnes, dem Vormunde des Ariapeithes, vernommen habe, so war Anacharsis ein Vatersbruder des Idanthyrsus, des Königs der Scythen, und ein Sohn des Gaurus, des Sohnes von Lycus, welcher des Spargapithes Sohn war. War nun Anacharsis aus diesem Hause, so ist er offenbar von seinem Bruder um's Leben gebracht worden. Denn Idanthyrsus war ein Sohn des Saulius, dieser aber war es, welcher den Anacharsis getödtet hat.


***
77.

Ich habe auch noch eine andere Erzählung, welche von den Peloponnesiern gegeben wird, darüber vernommen: hiernach war Anacharsis von dem Scythenkönig abgesendet worden, um bei den Hellenen in die Schule zu gehen, und hatte nach seiner Rückkehr dem, der ihn abgesendet hatte, erklärt, es wären wohl alle Hellenen beflissen nach jeglicher Art von Weisheit, mit Ausnahme der Lacedämonier; diese allein aber seien im Stande, vernünftig zu reden und zu antworten. Es kommt mir jedoch diese Erzählung vor, wie wenn sie zum Scherz von den Hellenen selbst gemacht wäre: jener Mann aber kam, wie vorher bemerkt worden ist, um sein Leben und erlitt nun einmal dieses Schicksal um der fremden Gebräuche und des Umgangs mit den Griechen willen.




78.-80

Viele Jahre nachher aber widerfuhr dem Scyles, dem Sohne des Ariapeithes, Etwas dem Aehnliches. Ariapeithes nemlich, der König der Scythen, hatte neben andern Söhnen einen Sohn Scyles, welcher von einer Istrischen[*] ), mithin keineswegs eingebornen Frau geboren war, und hatte diese seine Mutter ihn die Hellenische Sprache und Schrift gelehrt. Einige Zeit hernach nun ward Ariapeithes durch List umgebracht von dem Spargapeithes, dem König der Agathyrsen, und Scyles übernahm das Königthum sowie das Weib seines Vaters, welche Opöa hieß. Diese Opöa war eine Eingeborene, von welcher Ariapeithes einen Sohn Oricus hatte. Scyles aber, welcher König über die Scythen war, gefiel sich gar nicht in der Scythischen Lebensweise, sondern hatte weit mehr Neigung zu den Hellenischen Sitten in Folge der Erziehung, welche er erhalten hatte, und so that er Folgendes. Wenn er sein Scythisches Gefolge zu der Stadt der Borystheniten führte, (diese Borystheniten aber behaupten Milesier zu sein)[**] ) so ließ er, wenn er zu diesem kam, sein Gefolge in der Vorstadt, und sowie er in die Stadt getreten und die Thore hatte schließen lassen, legte er die Scythische Tracht ab und zog ein Hellenisches Kleid an und trieb sich in dieser Kleidung auf dem Markte herum, ohne ein Gefolge von Lanzenträgern oder von sonst Jemand; die Thore aber bewachte man, damit Niemand von den Scythen ihn in dieser Kleidung sehen könnte. Auch im Uebrigen lebte er nach Hellenischer Weise und brachte den Göttern Opfer nach der Sitte der Hellenen. Und wenn er so einen Monat oder auch noch darüber verweilt hatte, legte er wieder die Scythische Tracht an und ging fort. Das that er öfters, da er sogar ein Haus in Borysthenes[*] ) sich gebauet und eine Bürgerin der Stadt zur Frau in dasselbe genommen hatte. 

79.

Da es ihm aber übel ergehen sollte, so geschah es aus folgender Veranlassung. Es gelüstete ihn nach den Weihen des Dionysus Bacchius[**] ), und als er eben im Begriffe war, sich einweihen zu lassen, ereignete sich ein gewaltiges Wunderzeichen. Er hatte in der Stadt der Borystheniten ein seinem Umfang nach großes und prachtvolles Haus, dessen ich auch kurz zuvor erwähnt habe, um welches rings herum Sphinxe und Greifen[***] ) von weißem Stein standen; in dasselbe schlug der Blitz ein und brannte es ganz ab; Scyles aber führte nichts desto weniger seine Einweihung zu Ende. Es schmähen aber die Scythen auf die Hellenen wegen des Bacchischen Dienstes; denn es sei unvernünftig, behaupten sie, einen solchen Gott zu ersinnen, welcher die Menschen zur Raserei antreibe. Nachdem nun Scyles in den Bacchischen Kult eingeweihet worden, lief einer von den Borystheniten zu den Scythen und sprach zu ihnen: Ihr Scythen! ihr spottet ja über uns, weil wir am Bacchischen Feste schwärmen und der Gott uns ergreift: jetzt hat dieser Gott auch euern König ergriffen, er schwärmt in dem Dienste des Bacchus und ist von dem Gotte rasend geworden. Wenn ihr mir aber nicht glaubt, so folgt mir und will ich es euch zeigen. Da folgten ihm die Häupter der Scythen, welche der Borysthenite heimlich auf einen Thurm führte und hier niedersitzen ließ. Als darauf Scyles mit dem schwärmenden Haufen vorbeizog, und die Scythen ihn in Bacchischem Taumel erblickten, nahmen sie sich dieß sehr zu Leid, und als sie aus der Stadt heraus gekommen, erzählten sie dem ganzen Gefolge, was sie gesehen hatten.


***
80.

Als nun hernach Scyles in seine Heimath zog, stellten die Scythen seinen Bruder Oktamasades, welcher von der Tochter des Teres geboren war, an ihre Spitze und erhoben sich wieder Scyles. Dieser, sowie er erfuhr, was wider ihn geschah, und auch den Grund, weßwegen es geschah, entfloh nach Thracien. Als dieß Oktamasades erfahren hatte, zog er gegen Thracien zu Felde, als er aber an dem Ister angekommen war, kamen ihm die Thracier entgegen, und als sie eben im Begriff waren den Kampf zu beginnen, schickte Sitalkes zu dem Oktamasades und ließ ihm Folgendes sagen: Wozu sollen wir uns gegenseitig im Kampfe versuchen? du bist der Sohn meiner Schwester und hast meinen Bruder! gib mir diesen zurück und ich übergebe dir deinen Scyles. Dann brauchen wir nicht mit unsern Heeren in einen Kampf uns einzulassen, du so wenig als ich. Diesen Vorschlag ließ Sitalkes ihm durch einen Herold, den er zu ihm schickte, machen; es befand sich nemlich bei Oktamasades ein Bruder des Sitalkes, welcher vor diesem geflohen war. Oktamasades ging diesen Vorschlag ein; er lieferte dem Sitalkes den Bruder seiner Mutter und empfing dafür seinen Bruder Scyles. Sitalkes nahm seinen Bruder und führte ihn mit sich nach Hause, dem Scyles aber ließ Oktamasades sofort den Kopf abschlagen. So sehr bewahren die Scythen ihre Gebräuche, und solchen Lohn geben sie denjenigen, welche fremde Sitten annehmen.




81.

Die Menge der Scythen[*] ) war ich nicht im Stande mit Gewißheit zu erfahren, ich hörte vielmehr über ihre Zahl verschiedene Angaben, es wären ihrer sehr viele, und doch wieder nur wenige, im Verhältniß zu dem großen Scythenlande, so viel jedoch machten sie mir durch den Augenschein klar. Es ist nemlich zwischen dem Fluß Borysthenes und dem Hypanis eine Strecke Landes, welche den Namen Exampaios führt, dessen ich auch kurz zuvor[*] ) erwähnt habe, da wo ich von der Quelle bitteren Wassers sprach, welche dort sein soll und mit dem davon abfließenden Wasser den Hypanis ungenießbar macht; in diesem Lande liegt ein ehernes Gefäß, an Umfang noch sechsmal so groß als der Mischkrug an der Mündung des Pontus, welchen Pausanias, des Kleombrotus Sohn, geweihet hat[**] ). Wer indessen denselben noch nicht gesehen hat, dem will ich ihn also beschreiben: das eherne Gefäß im Scythenlande faßt leicht sechshundert Amphoren, die Dicke dieses Scythischen Kessels beträgt sechs Daktylen[***] ); nach Angabe der Einheimischen besteht derselbe aus lauter Lanzenspitzen: ihr König nemlich, mit Namen Ariantes, wollte-die Mense-der Scythen kennen und erließ an alle Scythen das Gebot, es solle ein Jeder eine Spitze von seinem Pfeil bringen; wer sie nicht brächte, dem drohte er mit dem Tode. Da wäre nun eine große Masse von Pfeilspitzen gebracht worden, und hätte er beschlossen, aus denselben ein Denkmal zu machen und der Nachwelt zu hinterlassen; so habe er aus diesen Spitzen nun diesen Kessel machen lassen und nach jenem Exampaios geweihet. Dieses hörte ich über die Menge der Scythen.



82.

Bewundernswürdige Gegenstände enthält dieses Land nicht, außer daß es die bei weitem größesten und der Zahl nach auch die meisten Flüsse besitzt. Was es aber noch Bewundernswürdiges enthält außer den Flüssen und der großen Ausdehnung der Ebene, soll angegeben werden; man zeigt die Spur des Herkules, welche an einem Felsen sich befindet und wie der Tritt eines Menschen aussieht, aber an Größe zwei Ellen beträgt[*] neben dem Fluß Tyres[**] ). Also verhält es sich damit; ich will aber zu der Darstellung, mit der ich angefangen, zurückkehren[***] ).



83.

Während Darius sich rüstete wider die Scythen und seine Boten aussendete, welche den Einen gebieten sollten, Fußvolk zu stellen, den Andern Schiffe, und wieder Anderen, eine Brücke über den Thracischen Bosporus[†] ) zu schlagen, drang Artabanus, des Hystaspes Sohn, und ein Bruder des Darius, in ihn, den Feldzug wider die Scythen in keinem Falle zu unternehmen, indem er ihm die Mittellosigkeit der Scythen auseinandersetzte. Allein so gut auch sein Rath war, er vermochte ihn nicht zu überzeugen und stand darum ab; Darius aber, nachdem er alle seine Zurüstungen gemacht hatte, zog mit seinem Heere von Susa aus.



84.

Da bat einer der Perser, Oeobazus, den Darius, er möchte ihm doch von den drei Söhnen, welche er hatte, und welche alle in das Feld zogen, Einen zurücklassen; worauf Darius erklärte, er werde ihm, als einem Freunde, der eine mäßige Bitte stelle, alle seine Söhne zurücklassen. Oeobazus war höchst erfreut darüber, weil er meinte, seine Söhne wären vom Kriegsdienst befreit; Darius aber befahl den dazu bestellten Leuten, alle Söhne des Oeobazus zu tödten. So blieben diese hingeschlachtet an eben der Stelle zurück.



85.-86

Als aber Darius auf dem Zuge von Susa nach Chalcedon[*] ) an den Bosporus gekommen war, wo die Brücke geschlagen war, bestieg er ein Schiff und fuhr von da zu den sogenannten Cyaneen, welche früher, wie die Hellenen behaupten, herum irrend waren[**] ); hier setzte er sich bei dem Tempel[***] ) und betrachtete den Pontus, welcher sehenswerth ist. Denn unter allen Meeren verdient er, seiner Natur nach, am meisten Bewunderung: seine Länge beträgt eilftausend einhundert Stadien[†] ), seine Breite da, wo er am breitesten ist, dreitausend dreihundert Stadien, die Mündung dieses Meeres hat nur eine Breite von vier Stadien[*] ), die Länge dieser Mündung, d. i. der Meeresenge, welche Bosporus heißt, wo nemlich die Brücke geschlagen war, beträgt hundert und zwanzig Stadien[**] ); es zieht sich aber der Bosporus in die Propontis; diese, welche eine Breite von fünfhundert und eine Länge von vierzehnhundert Stadien hat[***] ), ergießt sich in den Hellespont[†] ), welcher sieben Stadien eng und vierhundert Stadien lang ist; der Hellespont läuft dann in ein weites Meer aus, welches das Aegäische heißt.


***
86.

Es ist dieß aber in folgender Weise ausgemessen. Ein Schiff macht überhaupt an einem langen Tage so ziemlich an siebenzigtausend Klafter, bei Nacht an sechzigtausend; nun ist es bis zum Phasis von der Mündung, denn dieß ist die größeste Länge des Pontus, eine Fahrt von neun Tagen und acht Nächten; dieß beträgt einmalhundert und zehntausend Klafter, aus diesen Klaftern ergeben sich eilftausendeinhundert Stadien[††] ). Nach Themiscyra, das am Fluß Thermodon[†††] ) liegt, hat man vom Sindischen Lande[*†] ) aus, denn hier ist die größeste Breite des Pontus, eine Fahrt von drei Tagen und zwei Nächten; dieß macht dreimalhundert und dreißigtausend Klafter oder dreitausend dreihundert Stadien. Dieser Pontus nun und der Bosporus und Hellespont sind auf diese Weise von mir gemessen und haben dieselben die eben angegebene natürliche Beschaffenheit. Auch hat dieser Pontus noch einen See, welcher in ihn sich ergießt und nicht viel geringer als er selbst ist, er heißt der Mäotische[*] ) und Mutter des Pontus.




87.

Als Darius den Pontus betrachtet hatte, fuhr er zurück zu der Brücke[**] ), deren Baumeister Mandroklees aus Samus gewesen war; und als er auch den Bosporus betrachtet hatte, ließ er an demselben zwei Säulen von weißem Steine errichten, und eine Inschrift einhauen, auf der einen Seite in Assyrischer[***] ), auf der andern in Hellenischer Schrift, mit den Namen aller Völker, die er mit sich führte; er führte aber alle mit sich, über die er herrschte. Von diesen wurden, außer dem Schiffsvolk, siebenzig Myriaden mit Einschluß der Reiter gezählt. Schiffe waren sechshundert versammelt. Die Byzantiner brachten diese Säulen späterhin in ihre Stadt und gebrauchten sie zu dem Altar der Orthosischen Artemis[†] ), mit Ausnahme eines Steines; dieser ward bei dem Tempel des Dionysus in Byzanz zurückgelassen und ist derselbe voll von Assyrischer Schrift. Die Stelle aber des Bosporus, an welcher der König die Brücke schlagen ließ, ist, nach meinem Dafürhalten, in der Mitte wischen Byzanz und dem Tempel (des Zeus Urins) an der Mündung[*] ).



88.

Darius aber, welcher an der Brücke seine Freude hatte' beschenkte nachher den Baumeister derselben, den Mandroklees aus Samus, mit allem Möglichen[**] ); von den Erstlingen davon ließ nun Mandroklees ein Gemälde verfertigen, welches die ganze Ueberbrückung des Bosporus, den König Darius auf einem Thron sitzend, und den Zug seines Heeres über die Brücke darstellte, und dieses Gemälde weihete er dann in den Tempel der Here[***] ) mit folgender Inschrift:

Als er des Bosporus fischreiche Fluthen mit Brücken versehen,
Hat der Here geweiht Mandroklees dies Gebild:
Für sich selber gewann er den Kranz und Ruhm für die Samer,
Da er des Königes Wunsch nach dessen Willen erfüllt.

Das also war das Denkmal dessen, welcher die Brücke geschlagen hatte,



89.

Nachdem Darius den Mandroklees beschenkt hatte, ging er über nach Europa und befahl den Ioniern nach dem Pontus zu schiffen bis zum Fluß Ister; wenn sie am Ister angekommen, sollten sie dort auf ihn warten, und inzwischen eine Brücke über den Fluß schlagen; denn die Seemacht führten Jonier, Aeolier und Hellespontier. Die Flotte schiffte nun durch die Cyaneen hindurch und fuhr in gerader Richtung zu dem Ister, dann weite, eine Fahrt von zwei Tagen den Flußstrom aufwärts vom Meerer und schlug eine Brücke an der schmalen Stelle des Flusses, an welcher die Mündungen des Flusses spalten[*] ). Darius aber, nachdem er den Bosporus auf der Brücke überschritten hatte, zog durch Thracien und gelangte zu den Quellen des Flusses Tearus[**] ), wo er drei Tage im Lager verweilte.



90.-91

Der Tearus ist, wie die Umwohner versichern, unter allen Flüssen der beste, nicht blos in Bezug auf andere Heilkräfte, sondern auch weil er Menschen und Pferden die Krätze heilt. .Seiner Quellen sind es acht und dreißig, welche aus demselben Felsen fließen, einige derselben sind kalt, andere warm; der Weg zu denselben ist gleich, von Heräupolis aus bei Perinthus[***] ) sowie von dem am Pontus Euxinus gelegenen Apollonia[†] ) aus, in beiden Fällen, zwei Tagereisen. Dieser Tearus mündet in den Fluß Kontadesdus, dieser in den Agrianes, und der Agrianes in den Hebrus, welcher in das Meer bei der Stadt Aenos[††] ) sich ergießt.


***
91.

Als nun Darius an diesen Fluß gekommen war und sein Lager aufgeschlagen hatte, ließ er aus Wohlgefallen an dem Fluß auch hier eine Säule errichten und darauf folgende Inschrift setzen: "Die Quellen des Flusses Tearus gewähren das beste und herrlichste Wasser; zu ihnen gelangte auf seinem Heereszug wider die Scythen der beste und herrlichste unter allen Menschen, Darius, des Hystaspes Sohn, der König der Perser und des ganzen Festlandes." Diese Inschrift wurde hier gesetzt.




92.

Von da brach Darius auf und kam zu einem andem Fluß, welcher Artiscus[*] ) heißt und durch das Land der Odrysen fließt. Als er nun an diesem Fluß angekommen war, that er Folgendes. Er wies seinem Heere eine Stelle an und gebot einem jeden Mann im Vorbeigehen einen Stein an den bezeichneten Platz zu werfen. Als das Heer dieß gethan hatte, so ließ er hier große Steinhügel zurück und zog mit seinem Heere dann weiter.



93.

Ehe er aber an den Ister kam, bezwang er zuerst die Geten *), welche an die Unsterblichkeit glauben. Denn die Thracier, welche Salmydessus inne haben, und die, welche über der Stadt Apollonia und Mesambria wohnen, und Scyrmiaden und Nipsäer genannt werden, hatten sich ohne Kampf dem Darius ergeben; die Geten aber, welche hartnäckig sich widersetzten, wurden sofort unterjocht, obwohl sie die tapfersten und gerechtesten unter allen Thraciern sind.



94.

Mit ihrem Glauben an die Unsterblichkeit verhält es sich also: sie glauben, daß sie nicht sterben, sondern daß der Sterbende zu dem Gotte Zalmoxis komme, welchen Einige von ihnen für denselben halten, wie den Gebeleizis[***] ). Alle fünf Jahre aber schicken sie einen von den Ihrigen, welchen das Loos getroffen hat, als Gesandten zu dem Zalmoxis und lassen ihm durch denselben ihre jedesmaligen Bitten vortragen; sie schicken ihn aber auf folgende Weise ab. Einige von ihnen, welche dazu aufgestellt sind, halten drei Wurfspieße, Andere aber fassen den; welcher abgesendet werden soll zu dem Zalmoxis, an Händen und Füssen, halten ihn dann hoch in der Luft und werfen ihn auf die Speere; stirbt er nun, indem er auf die Speere fällt, so sehen sie das als ein Zeichen göttlicher Gnade an; stirbt er aber nicht, so geben sie diesem Boten selbst die Schuld, indem sie behaupten, er sei ein schlechter Mann. Nachdem sie auf ihn die Schuld geworfen, senden sie dann einen andern ab, und geben ihm, während er noch lebt, ihre Aufträge. Eben dieselben Thracier schießen auch gegen Donner und Blitz mit ihren Bogen himmelwärts und drohen damit dem Gott, denn glauben, es gäbe keinen andern Gott als den ihrigen.



95.-96

Wie ich erfahren von den Hellenen, welche den Hellespont und Pontus bewohnen, war dieser Zalmoxis ein Mensch, welcher in der Sclaverei zu Samus sich befand, und der Sclave des Pythagoras[*] des Sohnes des Mnesarchus war ). Hier aber erlangte er seine Freiheit und erwarb sich viele Schätze, mit welchen er dann in seine Heimath zurückkehrte. Weil nun die Thracier eine schlechte Lebensweise hatten und ungebildet an Geist waren, so erbauete dieser Zalmoxis, welcher die Jonische Lebensweise kannte und eine höhere Bildung besaß, als man von einem Thracier erwarten konnte, weil er ja mit Hellenen umgegangen und unter den Hellenen mit dem ersten aller Weisen, dem Pythagoras, einen Männersaal, in welchen er die ersten seiner Mitbürger aufnahm und bewirthete, dabei aber sie belehrete, daß weder er selbst noch seine Gäste, noch alle ihre Nachkommen sterben, sondern an einen solchen Ort kommen würden, wo sie auf immer leben würden in dem Besitze aller Güter. Während er aber das Bemerkte that und also lehrete, ließ er sich eine Wohnung unter der Erde machen, und als diese ganz fertig geworden war, verschwand er aus Thracien; er war nemlich in diese unterirdische Wohnung hinuntergegangen und brachte darin drei Jahre zu; die Thracier aber vermißten ihn und betrauerten ihn, wie einen Gestorbenen. Da erschien er im vierten Jahre den Thraciern; und so glaubten sie an das, was Zalmoxis lehrete. Also soll er, wie sie erzählen, es gemacht haben.


***
96.

Ich aber bin hinsichtlich dieses Mannes und der unterirdischen Wohnung nicht gerade ungläubig; aber ich habe auch keinen rechten Glauben daran; ich glaube vielmehr, daß dieser Zalmoxis um viele Jahre früher als Pythagoras gelebt hat. Mag nun dieser Zalmoxis ein Mensch gewesen sein, oder ist er eine Landesgottheit der Geten, wir sagen ihm ein Lebewohl. Die Geten aber, welche in solcher Weise leben, folgten nach ihrer Unterwerfung durch die Perser dem übrigen Heer.




97.-98

Als Darius und das Landheer mit ihm an den Ister gekommen war, und Alle denselben überschritten hatten, gab Darius den Ioniern den Befehl, die Brücke abzubrechen und mit dem Volk aus den Schiffen ihm zu Lande zu folgen. Als nun die Jonier im Begriff waren, die Brücke abzubrechen und den Befehl zu vollziehen, so sprach Koes, des Erxander Sohn[*] ), welcher der Befehlshaber der Mytilenäer war, zu Darius Folgendes, nachdem er vorher angefragt hatte, ob es ihm angenehm wäre, wenn Einer seine Meinung darlegen wolle, dieselbe zu vernehmen. O König, sprach er dann, du stehst im Begriff wider ein Land zu ziehen, in welchem auch nicht eine bebaute Strecke oder eine bewohnte Stadt zu sehen ist; darum laß die Brücke an ihrem Platze stehen, und laß diejenigen, welche sie geschlagen haben, als Wächter derselben zurück. Finden wir nemlich die Scythen und geht es uns nach Wunsch, so werden wir einen Rückweg haben; sind wir aber nicht im Stande, sie zu finden, so werden wir auch so einen sicheren Rückweg haben; denn ich befürchte nicht sowohl, daß wir in einer Schlacht von den Scythen besiegt werden, sondern vielmehr, daß wir sie nicht finden können und dann, herumirrend, irgendwie zu Schaden kommen. Nun könnte zwar Jemand sagen, daß ich so spreche um meinetwillen, um zurückbleiben zu können; aber ich trage hier, o König, nur diejenige Ansicht vor, welche nach meinem Ermessen die ersprießlichste ist; ich selbst werde jedoch dir folgen und möchte nicht zurückbleiben. Darius empfand große Freude über diesen Rath und erwiederte ihm in Folgendem: Lieber Gastfreund aus Lesbos, wenn ich gesund und wohl wieder nach Hause gekommen bin, so erscheine jedenfalls bei mir, damit ich deinen guten Rath mit guten Thaten erwiedere.


***
98.

Nachdem er dieß gesprochen und sechzig Knoten an einen Riemen gebunden hatte, ließ er die Tyrannen der Jonier[*] ) zu einer Unterredung rufen und sprach zu ihnen Folgendes: Ihr Männer aus Jonien! Die Ansicht, die ich früher über die Brücke ausgesprochen habe, soll von mir aufgegeben sein: hier habt ihr den Riemen! thuet also; wie ihr mich abziehen gesehen wider die Scythen, so löset van dieser Zeit an jeden Tag Einen Knoten. Bin ich in dieser Zeit nicht wieder da, sondern die Tage der Knoten sind euch abgelaufen, so kehrt in eure Heimath zurück; bis dahin aber, da ich in dieser Weise meinen Entschluß geändert habe, bewacht die Brücke und wendet allen Eifer an für ihre Erhaltung und Bewachung; damit werdet ihr mir einen großen Gefallen thun. Nachdem Darius dieß gesagt hatte, zog er weiter vorwärts.




99.-101

Vor dem Scythischen Land[*] ) liegt an der Meeresseite hin Thracien; auf dieses Land, welches einen Busen bildet[**] ), folgt dann Scythien, und fließt in dasselbe hinein der Ister, dessen Mündung nach Südosten zu gewendet ist. Von dem Ister an will ich nun den Theil von Scythien selbst, welcher nach dem Meere zu liegt, nach der Messung näher angeben. Von dem Ister an ist schon das alte Scythenland, das nach Mittag und Süden zu liegt, bis zur Stadt, welche Karcinitis heißt[*] ). Von da an weiter die Strecke, welche an demselben Meere sich hinzieht, und ein gebirgiges vorwärts in den Pontus hineinliegendes Land ist[**] ), bewohnt das Taurische Volk bis zur sogenannten Rauhen Chersones[***] ), welche sich in das Meer nach Osten zu hinzieht. Des Scythischen Landes Gränzen nemlich bildet auf zwei Seiten das Meer, nach Mittag zu und nach Osten[†] ), wie es auch bei dem Attischen Lande der Fall ist; und wohnen dorten auch die Taurer im Scythenlande ebenso, wie wenn in Attika ein anderes Volk und nicht die Athener die Spitze von Sunium bewohnten, welche mit ihrem Vorgebirge mehr in das Meer hinausläuft, ich meine die Strecke vom Thorischen Gau bis zu dem Anaphlystischen[††] ). Ich sage dieß aber nur, insofern dieses Kleine mit Großem zu vergleichen ist. Von solcher Beschaffenheit ist das Taurische Land. Wer jedoch um diesen Theil von Attika noch nicht herumgefahren ist, dem will ich es in anderer Weise deutlich machen: es verhält sich damit gerade so, wie wenn ein anderes Volk und nicht die Japyger das Stück von Japygien[*] ), von dem Brentesischen Hafen an bis nach Tarent, weggenommen hätten und diese Spitze bewohnten. Indem ich diese beiden anführe, kann ich noch viele andere ähnliche anführen, welchen das Taurische Land gleicht.


***
100.

Von dem Taurischen Lande an bewohnen Scythen das Land, welches über den Taurern liegt, sowie die Strecken, welche nach dem östlichen Meere sich hinziehen, westwärts von dem Cimmerischen Bosporus und dem Mäotischen See bis zum Fluß Tanais, welcher in den innersten Winkel dieses Sees sich ergießt. Von dem Ister an aber ist das Scythische Land, was die darüber liegenden nach dem Binnenland hinziehenden Strecken betrifft, abgegränzt zuerst von den Agathyrsen, hernach von den euren, dann von den Androphagen und zuletzt von den Melanchlänen[**] ).



***
101.

Insofern nun das Scythische Land ein Viereck bildet, dessen zwei Seiten[***] ) an das Meer stoßen, so ist nach allen Seiten hin das, was in das Binnenland geht, wie das, was an dem Meere sich hinzieht, gleich. Von dem Ister nemlich bis zum Borysthenes sind es zehn Tagereisen, von dem Borysthenes bis zum Mäotischen See zehn andere, und die Strecke vom Meere aus in das Innere des Landes bis zu den Melanchlänen, welche über den Scythen wohnen, beträgt zwanzig Tagereisen. Der tägliche Weg ist aber auf zweihundert Stadien von mir gerechnet. So wären die schrägen Seiten des Scythischen Landes viertausend Stadien lang[*] ), und die geraden, welche in das Innere sich erstrecken, hätten eben so viele Stadien. Das ist also die Größe dieses Landes.




102.

Die Scythen aber bedachten wohl, daß sie nicht im Stande wären, allein in offener Schlacht das Heer des Darius zurückzutreiben, und schickten deßhalb Boten zu den benachbarten Völkern; und es kamen auch die Könige derselben zusammen und beriethen sich mit einander, weil ein so großes Heer heranziehe. Es waren aber die, welche zusammenkamen, die Könige der Taurer, Agathyrsen, Neuren, Androphagen, Melanchlänen, Gelonen, Budinen und Sauromaten.



103.

Von diesen Völkern haben die Taurer[**] ) folgende Gebräuche. Sie opfern der jungfräulichen Göttin die Schiffbrüchigen so wie alle zu ihnen verschlagene Hellenen, welche sie auffangen, auf folgende Weise: nachdem sie dieselben der Göttin geweiht, schlagen sie ihnen mit einer Keule auf den Kopf; Einige behaupten, daß sie den Körper von der abschüssigen Höhe, auf welcher nemlich das Heiligthum errichtet ist, herunterstürzen, den Kopf aber an das Kreuz schlagen; Andere stimmen in Bezug auf den Kopf damit überein, behaupten aber, der Leib werde nicht von der abschüssigen Höhe herabgestürzt, sondern in der Erde begraben. Die Gottheit aber, welcher man das Opfer bringt, soll, nach Angabe der Taurer selbst, Iphigenia, des Agamemnon Tochter[*] ), sein. Mit den Feinden, welche sie in ihre Hände bekommen, machen sie es also: ein Jeder schneidet ihnen den Kopf ab und trägt ihn weg in seine Wohnung, dann steckte er ihn auf eine lange Stange, welche weit über das Haus, insbesondere über den Rauchfang hervorragt; sie behaupten nemlich, dieß wären die Wächter, die über dem ganzen Haus in der Luft schweben. Sie leben aber von Beute und vom Krieg.



104.

Die Agathyrsen[**] ) sind die üppigsten Menschen, welche auch am meisten Gold an sich tragen. Sie pflegen gemeinsam Umgang mit den Weibern, damit Alle einander Brüder und Verwandte seien, die weder Neid noch Feindschaft wider einander hegen; in ihren übrigen Gebräuchen aber nähern sie sich den Thraciern.



105.

Die Neuren[***] ) dagegen haben Scythische Sitten. Ein Menschenalter aber vor dem Zug des Darius traf es sich, daß sie ihr Land verlassen mußten vor den Schlangen; denn es brachte ihr Land eine Menge von Schlangen[†] ) zum Vorschein, noch mehr aber fielen über dasselbe von oben her aus den öden Strecken; deßhalb gedrängt, verließen sie ihr Land und wohnten mit den Budinen zusammen. Es scheinen aber diese Leute Zauberer zu sein; die Scythen nemlich und die im Scythenland wohnenden Hellenen erzählen, daß einmal in jedem Jahr ein Jeder von den Neuren ein Wolf wird auf wenige Tage und dann wiederum seine frühere Gestalt annimmt[*] ). Dieser Angabe nun kann ich keinen Glauben schenken; nichtsdestoweniger aber behaupten sie es und betheuern es durch einen Eidschwur.



106.

Die Androphagen[**] ) haben die wildesten Sitten unter allen Menschen, da sie an kein Recht glauben und kein Gesetz kennen. Sie sind Nomaden und tragen eine der Scythischen ähnliche Kleidung, haben aber ihre eigene Sprache; sie allein unter diesen Völkern verzehren Menschenfleisch.



107.

Die Melanchlänen tragen alle schwarze Kleider, von welchen sie auch ihren Namen haben, während ihre Sitten Scythisch sind.



108.-109

Die Budinen sind ein großes und zahlreiches Volk welches ganz blaue Augen und blonde Haar hat. In ihrem Lande befindet sich eine von Holz erbauete Stadt, deren Namen Gelonos ist; jede Seite der Mauer hat eine Länge von drei Stadien, sie ist dabei auch hoch und ganz von Holz, sowie au die Wohnungen der Budiner und die Tempel von Holz sind. Denn es befinden sich daselbst Heiligthümer Hellenischer Götter welche nach Hellenischer Weise mit Götterbildern, Altären und hölzernen Gotteshäuschen versehen sind; auch feiern sie dem Dionysus alle drei Jahre ein Fest und schwärmen in bacchischer Weise. Denn die Gelonen sind ursprünglich Hellenen; vertrieben aus ihren Handelsplätzen, wohnen sie unter den Budinen und reden theils die Scythische, theils die Hellenische Sprache[***] ).


***
109.

Die Budinen nemlich reden nicht dieselbe Sprache wie die Gelonen, auch ihre Lebensweise ist verschieden; denn die Budinen, welche Ureinwohner sind, sind Nomaden und essen allein unter den dort wohnenden Völkern Läuse; die Gelonen dagegen bebauen das Feld, essen Brod, und haben Gärten, sind auch weder an Gestalt noch an Farbe ihnen ähnlich; von den Hellenen werden jedoch auch die Budinen Gelonen genannt, aber es ist unrichtig. Ihr ganzes Land ist dicht mit Waldungen von Bäumen jeder Art bewachsen; im dicksten Wald aber ist ein großer und weiter See, und ein Sumpf, sowie Rohr um den See; darin werden Fischotter gefangen, Biber und andere Thiere mit viereckigem Gesicht[*] ), mit deren Fell sie ihre Pelze verbrämen; auch sind ihre Hoden nützlich zur Heilung von Uebeln der Gebärmutter.




110.-117

Ueber die Sauromaten[**] ) wird also berichtet. Als die Hellenen mit den Amazonen kämpften (die Amazonen aber heißen bei den Scythen Oiorpata, was in Hellenischer Sprache viel bedeutet als; Männermörder, denn Oior nennen sie den Mann, Pata aber heißt morden), da erzählt man, die Hellenen hätten in der Schlacht am Thermodon den Sieg gewonnen, und wären dann auf drei Fahrzeugen mit allen den Amazonen, deren sie lebend habhaft werden konnten, davon geschifft, die Amazonen aber hätten auf dem Meere einen Angriff gemacht und die Männer erschlagen. Da sie aber sich nicht auf die Schiffe verstanden, und weder Steuerruder, noch Segel, noch Ruder zu gebrauchen wußten, so ließen sie sich, nachdem sie die Männer erschlagen hatten, von Wind und Wogen forttreiben und gelangten so nach Kremnoi an dem Mäotischen See; dieses Kremnoi gehört in das Land der freien Scythen. Hier stiegen die Amazonen aus den Schiffen an's Land und nahmen den Weg in das bewohnte Land. Die erste Heerde von Pferden, auf welche sie stießen, nahmen sie weg, setzten sich dann auf die Pferde und plünderten das Land der Scythen.


***
111.

Die Scythen aber konnten die Sache nicht begreifen; denn sie kannten weder die Sprache, noch die Tracht, noch das Volt, sondern waren verwundert, von wo sie hergekommen wäre sie glaubten nemlich, es wären Männer desselben Alters, und ließen sich daher mit ihnen in einen Kampf ein; erst als sie aus diesem Kampfe die Gefallenen in ihre Gewalt bekamen, erkannten sie, daß es Weiber waren. Sie beriethen sich nun mit einander und beschloßen auf keine Weise jene zu tödten, sondern die jüngsten Leute von den Ihrigen zu denselben abzusenden, der Zahl nach eben so viele, wie sie dachten, als es jene wären; diese sollten sich nahe bei Jenen lagern, und Alles das thun, was Jene nur immer thun würden; verfolge man sie, so sollten sie in keinen Kampf sich einlassen, sondern die Flucht ergreifen; ließe man aber nach, so sollten sie wieder herankommen und ihr Lager in der Nähe aufschlagen. Diesen Entschluß faßten die Scythen, weil sie wünschten, Kinder von den Amazonen zu bekommen.



***
112.

Die abgesendeten Jünglinge thaten, was ihnen aufgetragen war. Als die Amazonen aber merkten, daß diese in keiner bösen Absicht wider sie angekommen wären, liesen sie dieselben gehen, und so kam das eine Lager dem andern von Tag zu Tag näher. Es hatten auch die Jünglinge, gerade wie die Amazonen, Nichts als ihre Waffen und ihre Pferde; sie lebten auf dieselbe Weise wie Jene von der Jagd und vom Raub.



***
113.

Es machten aber die Amazonen um die Mittagszeit es also: sie zerstreuten sich von einander, zu Eins oder auch Zwei, und entfernten sich von einander, um ihre Nothdurft zu verrichten. Wie dieß die Scythen bemerkten, machten sie es auch so, und Mancher kam auf diese Weise einer von den Amazonen, welche allein war, nahe, die Amazone stieß ihn auch nicht von sich, sondern ließ sich den Umgang mit ihm gefallen; sprechen konnte sie zwar nicht, denn sie verstanden einander nicht, aber sie bedeutete ihm mit der Hand, den andern Tag an dieselbe Stelle zu kommen und einen andern mitzubringen, wobei sie ihm zu verstehen gab, daß es zwei sein sollten, indem sie selbst auch noch eine andere Amazone mitbringen werde. Als der Jüngling zurückgekommen war, erzählte er es den Uebrigen; am folgenden Tag aber kam er selbst an die Stelle und brachte einen andern mit: er fand auch dort die Amazone mit einer andern auf ihn wartend. Wie dieß die übrigen Jünglinge erfuhren, so machten sie gleichfalls die übrigen Amazonen kirre.



***
114.

Hernach aber vereinigten sich die heiden Lager und wohnten zusammen; ein Jeder hatte zum Weib diejenige, mit welcher er zuerst Umgang gepflogen hatte. Die Sprache der Weiber vermochten zwar die Männer nicht zu erlernen, aber die Weiber verstanden die der Männer. Und da sie einander verstanden, sprachen zu den Amazonen die Männer Folgendes: Wir haben Eltern, wir haben Vermögen; jetzt wollen wir nicht länger mehr ein solches Leben führen, sondern wegziehen zu dem Volke und dort leben; wir werden Euch als Weiber haben und keine andern. Diese aber erwiderten darauf Folgendes: Wir könnten nicht wohl mit euern Weibern leben, denn wir haben nicht dieselben Sitten wie jene; wir führen Bogen und Speere und sitzen zu Pferde, weibliche Arbeiten aber haben wir nicht gelernt; eure Weiber aber thuen nichts von dem, was wir angeführt haben, t sondern verrichten weibliche Arbeit, bleiben auf dem Wagen und gehen weder auf die Jagd noch sonst wohin. Wir könnten daher uns nicht wohl mit Jenen vertragen. Wenn ihr aber uns wollt zu Weibern haben und ganz gerecht erscheinen wollt, so geht zu euren Eltern und laßt euch euren Antheil an dem Vermögen zuweisen; dann kehret zurück und wir wollen für uns, getrennt von Jenen, wohnen.



***
115.

Die Jünglinge ließen sich bewegen und thaten also. Und sowie sie den ihnen zukommenden Theil des Vermögens in Empfang genommen hatten, kehrten sie wieder zurück zu den Amazonen und sprachen die Weiber zu ihnen also: Wir haben Furcht und Angst, daß wir in diesem Lande wohnen sollen; theils weil wir euch euren Vätern entzogen haben, theils weil wir eurem Land vielen Schaden zugefügt haben. Da ihr nun aber uns zu Weibern haben wollt, so thut mit uns zusammen Folgendes: wohlan, wir wollen dieses Land verlassen, über den Fluß Tanais ziehen und dort wohnen.



***
116.

Auch dazu ließen die Jünglinge sich bereden. Sie setzten nun über den Tanais und nahmen ihren Weg nach Sonnenaufgang drei Tagereisen weg vom Tanais, und drei Tagereisen von dem Mäotischen See nach Norden zu. Und als sie in die Gegend gekommen waren, in welcher sie jetzt angesiedelt sind, nahmen sie daselbst ihre Wohnsitze. Und daher haben die Weiber der Sauromaten noch ihre alte Lebensweise: sie gehen auf die Jagd zu Pferde zugleich mit den Männern und ohm die Männer, sie ziehen auch in den Krieg und tragen dieselbe Kleidung wie die Männer.



***
117.

Die Sauromaten haben die Scythische Sprache im Gebrauch, welche sie von Alters her nicht ganz rein sprechen, weil die Amazonen dieselbe nicht vollkommen richtig erlernt hatten. Hinsichtlich der Ehen ist bei ihnen Folgendes bestimmt: keine Jungfrau geht eine Ehe ein, bevor sie einen Feind erlegt hat; so sterben auch Manche von ihnen im Alter, ehe sie zu einer Ehe kommen, weil sie das Gesetz nicht erfüllen konnten.




118.-119

Zu den versammelten Königen[*] ) der eben aufgezählten Völker kamen nun die Boten der Scythen, um sie zu belehren, und erzählten, wie der Perserkönig, nachdem er auf dem andern Festlande[*] ) Alles sich unterworfen, eine Brücke bei der Enge des Bosporus geschlagen, und auf dieses Festland übergegangen sei, wie er dann nach seinem Uebergang und nach der Unterwerfung der Thracier über den Fluß Ister eine Brücke geschlagen, in der Absicht, auch alle diese Länder sich zu unterwerfen. Ihr dürft also, (fuhren sie fort) auf keine Weise außerhalb der Sache bleiben und unserem Untergang ruhig zusehen, sondern wir wollen gemeinsam mit einander dem heranrückenden Feinde entgegenziehen. Werdet ihr nun das nicht thuns wir werden gedrängt entweder das Land verlassen oder einen Vergleich eingehen und bleiben. Denn was sollen wir anfangen, wenn ihr uns keinen Beistand leisten wollte Euch wird es darum nicht besser gehen; denn der Perser ist eben so gut wider Euch als wider uns gekommen; er wird sich darum auch nicht mit unserer Unterwerfung zufrieden geben und von Euch sich fern halten. Einen Hauptbeweis für diese Behauptung wollen wir Euch in Folgendem anführen: wäre der Perser blos gegen uns zu Felde gezogen, um wegen der früheren Knechtschaft[**] ) Rache zu nehmen, so hätte er von allen andern abstehen und geradezu gegen unser Land ziehen müssen; es wäre dann Jedermann klar geworden, daß er wider die Scythen und nicht gegen die Uebrigen zieht. Jetzt aber, sowie er auf dieses Festland[***] ) übergegangen, unterwirft er sich Alle, die ihm in den Weg kommen; er hat nicht nur die übrigen Thracier sich bereits .unterworfen, sondern auch die uns benachbarten Geten[†] ).


***
119.

In Folge dieser Meldung der Scythen traten die Könige, welche von den Völkern gekommen waren, in eine Berathung, und waren ihre Ansichten getheilt; der Gelone nemlich, der Budiner und der Sauromate waren derselben Ansicht und erklärten sich zur Hülfeleistung an die Scythen bereit; der Agathyrse aber, der Neure, der Androphage, und die Könige der Melanchlänen und Taurer gaben den Scythen folgende Antwort: wenn ihr nicht zuerst die Perser beleidigt und den Krieg angefangen hättet, sa würde die Bitte, die ihr jetzt stellt, uns als eine gerechte erscheinen; wir würden Euch willfahren und mit Euch gemeinsam handeln. So aber seid ihr zuerst in das Land Jener eingefallen ohne uns und habt, so lange als die Gottheit es Euch gestattete, Gewalt geübt über die Perser, welche, da derselbe Gott sie antreibt, nun Gleiches mit Gleichem vergelten. Wir aber haben weder damals diesen Männern irgend ein Leid angethan, noch wollen wir jetzt versuchen, zuerst sie zu beleidigen. Wenn der Gegner indessen auch gegen unser Land zieht und uns zu beleidigen anfängt, so werden auch wir uns dieß nicht gefallen lassen; bis wir aber dieß wahrnehmen, werden wir für uns bleiben, denn wir glauben, daß die Perser nicht wider uns gekommen sind, sondern wider diejenigen, welche die Urheber der Beleidigung sind.




120.

Als die Scythen diese Antwort vernommen hatten, beschlossen sie, sich in keine offene Feldschlacht einzulassen, weil diese sich ihnen als Verbündete nicht anschließen wollten, sondern dem Gegner aus dein Wege zu gehen und auszuweichen, die Brunnen, an welchen sie vorbeikämen, und die Quellen zu verschütten, das Gras aus dem Boden auszureißen, in zwei Haufen getheilt. Zu der einen dieser Abtheilungen, welche der König Skopasis befehligte, sollten die Sauromaten stoßen; diese sollten, wenn der Perser nach dieser Seite *) sich hinwende, sich still zurückziehen und die Flucht in gerader Richtung nach dem Tanais entlang dem Mäotischen See ergreifen; wenn aber der Perser umwende, so sollten sie auf ihn eindringen. Dieß war die eine Abtheilung aus dem Lande der königlichen Scythen, welche auf diesen Weg, wie angegeben worden, angewiesen war; die beiden andern Abtheilungen der Königlichen, die große, über welche Idanthyrsus gebot, und die dritte, deren König Taxakis war, sollten sich vereinigen und, wenn auch noch die Gelonen und Budinen dazu gekommen wären, immer eine Tagereise voraus vor den Persern sich halten und bei dem Rückzug thun, was von ihnen beschlossen war: zuerst nemlich sollten sie sich zurückziehen geradezu nach den Landstrichen derer, welche die Bundesgenossenschaft mit ihnen abgelehnt hatten, um auch diese zum Krieg zu nöthigen. *) D. h. nach der östlichen Seite hin. weil diese nicht freiwillig sich dem Krieg mit den Persern hatten unterziehen wollen, so sollten sie wider ihren Willen dazu veranlaßt werden. Hernach aber sollten sie zurückkehren in ihr eigenes Land und angreifen, insofern es ihnen räthlich erscheine.



121.

Also beschlossen die Scythen und gedachten dem Heere des Darius entgegen zu treten, nachdem sie ihre besten Reiter als Vorläufer abgeschickt hatten. Die Wagen aber, in welchen ihre Kinder und alle ihre Weiber lebten[*] ), sowie das Vieh, mit Ausnahme dessen, was zu ihrem Unterhalt nöthig war, hielten sie zurück und schickten Alles zugleich mit den Wagen vorwärts, mit dem Befehl, immer in nördlicher Richtung zu ziehen. So war dieß nun vorausgeschickt und in Sicherheit.



122.-125

Die Vorläufer der Scythen fanden die Perser in einer Entfernung von drei Tagereisen vom Ister, und als sie dieselben gefunden, so nahmen sie ihr Lager eine Tagereise vor denselben und verheerten Alles, was aus der Erde wächst; die Perser aber, als sie das Erscheinen der Scythischen Reiterei wahrnahmen, rückten auf dem Fuße nach, während dieselbe stets sich zurückzog; und da die Perser nur auf die eine der Abtheilungen gestoßen waren, so verfolgten sie diese hernach in der Richtung nach Osten und dem Tanais zu. Als aber die Scythen über den Fluß Tanais gegangen waren, folgten ihnen die Perser hinten nach, bis sie, nachdem das Land der Sauromaten durchzogen hatten, in das Land der Budinen kamen.


***
123.

So lange nun die Perser durch das Land der Scythen und Sauromaten zogen, hatten sie Nichts zu verheeren, weil das Land ganz öde war; als sie aber in das Land der Budinen eingefallen waren, und hier auf die hölzerne Veste[**] ) stießen, welche von den Budinen verlassen worden und ganz leer war, so steckten sie dieselbe in Brand. Nachdem sie dieß gethan hatten, folgten sie dann immer weiter vorwärts auf der Spur den Scythen, bis sie, als sie auch dieses Land durchschnitten hatten, in die Wüste gelangten. Diese Wüste[*] ), die von keinem Menschen bewohnt wird, liegt über dem Lande der Budinen in einer Ausdehnung von sieben Tagereisen. Ueber dieser Wüste wohnen die Thyssageten, aus deren Land vier große Flüsse strömen, welche durch das Land der Mäoten[**] ) in den sogenannten Mäotischen See sich ergießen und folgende Namen haben: Lycus, Darus, Tanais, Syogis[***] ).



***
124.

Wie nun Darius in die Wüste gekommen war, stand er von seinem weiteren Zuge ab, und stellte sein Heer an dem Fluß Darus auf; nachdem er dieß gethan, ließ er acht große Vesten anlegen in gleicher Entfernung von einander, etwa sechzig Stadien, und waren die Trümmer derselben noch bis zu meiner Zeit vorhanden. Während er aber darauf seine Aufmerksamkeit wendete, zogen die von ihm verfolgten Scythen oben herum und kehrten in das Scythische Land zurück. Als sie auf diese Weise gänzlich verschwunden waren und nicht mehr sichtbar wurden, so ließ Darius jene Vesten halbvollendet liegen und kehrte selbst um in westlicher Richtung, weit er meinte, das wären die Scythen alle und diese wären nach Westen zu geflohen.



***
125.

So führte er sein Heer eiligst in das Land der Scythen und stieß, als er dahin gelangt war, auf die beiden andern Abtheilungen der Scythen, welche er verfolgte, während diese ihm in der Entfernung einer Tagereise auswichen. Und da er in der Verfolgung nicht nachließ, so flohen die Scythen, wie sie vorher beschlossen hatten, in das Land derer, welche den Bund mit ihnen abgelehnt hatten, und zwar zuerst in das Land der Melanchlänen. Als diese durch den Einfall der Scythen und Perser in Verwirrung gerathen waren, führten die Scythen darauf die Perser in das Land der Androphagen; als auch diese in Verwirrung gebracht waren, rückten sie in das Land der Neuren; und da auch diese in Verwirrung kamen, zogen die Scythen fliehend zu den Agathyrsen. Als aber die Agathyrsen sahen, wie die Nachbarn vor den Scythen flohen und in Verwirrung waren, so schickten sie, noch ehe die Scythen eingefallen waren, einen Herold und ließen den Scythen verbieten, ihre Gränzen zu betreten, indem sie ihnen erklärten, wenn sie einen Einfall versuchen würden, so würden sie mit ihnen zuerst zu kämpfen haben. Nach dieser Erklärung eilten die Agathyrsen zu den Gränzen, in der Absicht, die Heranrückenden abzuwehren. Die Melanchlänen aber, die Androphagen und Neuren leisteten, als die Perser zugleich mit den Scythen eingefallen waren, keinen Widerstand, sondern vergaßen der Drohung und ergriffen in Verwirrung die Flucht in stets nördlicher Richtung nach der Wüste zu; die Scythen kamen indessen nicht mehr den Agathyrsen, die es ihnen untersagt hatten, sondern führten die Perser aus dem Lande der Neuren in das ihrige.




126.

Als dieß immer so fort ging und kein Ende nahm, schickte Darius einen Reiter zu dem scythischen König Idanthyrsus und ließ ihm Folgendes sagen: Wunderlicher Mann, warum fliehst du stets, da es doch in deiner Hand steht, Eines von den beiden Dingen zu thun; wenn du nemlich dich für stark genug hältst, meiner Macht entgegenzutreten, so halte Stand, mache dem Herumziehen ein Ende, und trete mit mir in den Kampf; wenn du aber dich schwächer fühlst, so laß auch so von dem Herumlaufen ab, und trete in ein Gespräch ein, indem du Erde und Wasser[*] ) deinem Gebieter darbringst.



127.

Darauf erwiederte der Scythenkönig Idanthyrsus Folgendes: O Perser! mit mir steht es also: ich bin weder vorher aus Furcht vor irgend einem Menschen se geflohen, noch fliehe ich jetzt vor dir; auch habe ich jetzt nichts Anderes und Besonderes gethan, als was ich auch im Frieden zu thun gewohnt bin. Warum ich aber nicht sofort mit dir in einen Kampf mich einlasse davon will ich dir auch den Grund angeben. Wir Scythen haben weder Städte noch bebautes Land[*] ), so daß wir aus Furcht, es möchten jene eingenommen oder dieses verheert werden schneller mit euch in den Kampf uns einlassen möchten; wenn es aber durchaus dazu in Bälde kommen soll, so haben wir ja unsere natürlichen Gräber[**] ), wohlan, wenn ihr diese aufgefunden habt und den Versuch machet, sie zu zerstören, dann werden wir erfahren, ob wir mit euch um der Gräber willen kämpfen, oder auch nicht. Vorher aber, wenn uns nicht unsere Ueberzeugung dazu nöthigt, werden wir mit dir in einen Kampf uns nicht ein assen. Soviel soll über den Kampf gesagt sein, Als meinen Gebieter erkenne ich aber allein den Zeus an, meinen Ahnherrn, und die Hestia, die Königin der Scythen[***] ), Dir nun werde ich statt der Gaben von Erde und Wasser solche Gaben schicken, wie sie dir gebühren; dafür aber, daß du behauptest mein Gebieter zu sein, sollst du mir schon büssen. Dieß ist die Sprache, wie sie die Scythen führen.



128.-130

Der Herold nun eilte fort, um dieß dem Darius zu melden; die Könige der Scythen aber, sowie sie nur den Namen der Knechtschaft gehört hatten, wurden mit Zorn erfüllt. Sie schickten daher die eine Abteilung welche mit den Sauromaten zusammen gestellt war und den Skopasis zum Anführer hatte[†] ), ab mit dem Befehl, mit denjenigen Ioniern, welche die über den Ister geschlagene Brücke bewachten in ein Gespräch sich einzulassen; der übrig gebliebene Theil der Scythen beschloß dann, nicht mehr die Perser in der Irre herumzuführen, sondern sie jedesmal dann anzugreifen, wenn sie das Mahl nähmen. Sie gaben also auf die Leute des Darius Acht, wenn sie ihr Mahl nahmen, und thaten, was beschlossen war. Bei diesen Angriffen nun schlug die Reiterei der Scythen die der Perser stets in die Flucht; die Persischen Reiter fliehend stürzten sich dann auf das Fußvolk, das ihnen Beistand leistete. Die Scythen dagegen, wenn sie die Reiterei der Perser geschlagen hatten, kehrten um, weil sie sich vor dem Fußvolk fürchteten. Aehnliche Angria machten die Scythen auch während der Nacht.


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129.

Was aber den Persern half und den Scythen bei ihren Angriffen auf das Lager des Darius entgegenstand, das war, und was ich sage ist gewiß recht zu verwundern, die Stimme der Esel und die Gestalt der Maulesel. Denn das Scythische Land bringt, wie auch schon früher von mir angegeben worden ist[*] ), weder einen Esel noch einen Maulesel hervor, und gibt es in dem ganzen Scythenlande überhaupt weder einen Esel noch einen Maulesel wegen der Kälte. Die Esel nun, die vor Muthwillen schrieen, brachten die Reiterei der Scythen in Verwirrung, oftmals bei einem Angriff auf die Perser, sowie die Pferde mitten darin die Stimme der Esel hörten, kamen sie in Verwirrung, kehrten um und spitzten voll Verwunderung die Ohren, weil sie vorher weder ein solches Geschrei gehört, noch die Gestalt der Thiere erblickt hatten. Es hatte dieß immerhin einen, wenn auch geringen, Einfluß auf die Führung des Krieges.



***
130.

Wie aber die Scythen bemerkten, daß die Perser in Unruhe gebracht waren, so veranstalteten sie, damit die Perser längere Zeit im Scythischen Lande verbleiben und durch ihr Verbleiben in Noth kommen möchten, indem sie Mangel an Allem litten, Folgendes. Sie ließen von ihrem eigenen Vieh Etwas zurück mit sammt den Hirten, und begaben sich darauf in der Stille weg an einen andern Ort; die Perser kamen dann heran, ergriffen das Vieh, und bildeten sich, wenn sie das Vieh weggenommen, viel ein auf diese That,




131.

Dieß geschah nun öfters, bis Darius zuletzt in Verlegenheit gerieth; wie dieß die Könige der Scythen bemerkten, schickten sie einen Herold, welcher dem Darius zum Geschenk einen Vogel, eine Maus, einen Frosch und fünf Pfeile brachte. Und es frugen die Perser den, der diese Geschenke brachte, nach dem Sinn dieser Gaben; allein derselbe erklärte, es sei ihm nichts Anderes aufgetragen, als dieß zu übergeben und sich dann schleunigst zu entfernen; die Perser selbst, meinte er, sollten, wenn sie klug wären, erkennen, was diese Gaben zu bedeuten hätten. Als dieß die Perser vernommen, pflogen sie Rath mit einander.



132.

Des Darius Meinung ging nun dahin, die Scythen übergäben damit ihm sich selbst, sowie Erde und Wasser, indem er also schloß: die Maus entsteht in der Erde, und genießt dieselbe Frucht wie der Mensch, der Frosch aber im Wasser, der Vogel gleicht zunächst dem Pferd: mit den Pfeilen übergäben sie ihre eigene Stärke. Diese Meinung war von Darius vorgetragen worden; derselben aber stand entgegen die Meinung des Gobryas[*] ), eines von den sieben Männern, welche den Magier gestürzt hatten; nach dessen Deutung besagten die Geschenke: Ihr Perser, wenn ihr nicht Vögel werdet und in die Luft fliegt, oder Mäuse und in die Erde kriecht, oder Frösche und in die Sümpfe hüpft, werdet ihr nicht wieder zurückkehren, getroffen von diesen Geschossen. Diese Deutung gaben die Perser den Geschenken.



133.

Als aber die eine Abtheitung der Scythen, welche früher an dem Mäotischen See zur Bewachung desselben aufgestellt war, dann aber an dem Ister zu einer Unterhandlung mit den Ioniern bestimmt war, an die Brücke gelangt war, sprach sie Folgendes: Ihr Jonier, wir kommen, euch die Freiheit zu bringen, wenn ihr anders uns Gehör geben wollt. Denn wir Vernehmen, daß Darius euch aufgetragen hat, blos sechzig Tage lang die Brücke zu bewachen und. wenn er in dieser Zeit nicht erschienen ist, dann in eure Heimath von dannen zu ziehen. Thut ihr nun das, so wird euch weder von seiner, noch von unserer Seite eine Schuld treffen; ihr wartet die bestimmte Zeit von Tagen ab und geht alsdann fort. Als nun die Jonier versprachen, dieß zu thun, eilten die Scythen schleunigst wieder fort.



134.-135

Den Persern aber traten, nachdem die Geschenke dem Darius zugekommen waren, die zurückgebliebenen Scythen in Schlachtordnung zu Fuß und zu Pferde entgegen, um mit ihnen sich zu schlagen. Da sprang, während die Scythen in Schlachtordnung standen, ein Hase mitten hinein, welchen Alle, die ihn sahen, sofort verfolgten. Als die Scythen dadurch in Unordnung gerathen waren und ein Geschrei erhoben, erkundigte sich Darius nach dem Getümmel seiner Feinde, und als er vernommen, daß sie einen Hasen verfolgten, sprach er zu denen, zu welchen er auch sonst zu reden gewohnt war: Diese Männer zeigen eine große Verachtung gegen uns und wird es mir jetzt klar, daß Gobryas hinsichtlich der Scythischen Gaben ganz richtig sich ausgesprochen hat. Ich glaube selbst, daß es nicht anders damit verhält, und darum bedarf es eines guten Rathes, wie wir den Rückzug mit Sicherheit antreten. Darauf sprach Gobryas: O König, ich kannte wohl schon von Hörensagen die Armuth dieser Menschen, seit ich aber hierher gekommen, habe ich mich noch mehr davon überzeugt, da ich sehe, wie sie mit uns ihr Spiel treiben. Meine Meinung ist es nun, Sowie die Nacht angebrochen ist, zünden wir Feuer an, wie wir es auch sonst zu thun gewohnt sind, wir täuschen auf diese Weise diejenigen Krieger, welche zu schwach sind, um die Anstrengungen auszuhalten, und ziehen, wenn wir alle Esel angebunden haben, davon, noch ehe die Scythen ihren Weg nach dem Ister richten, um die Brücke abzubrechen, oder auch die Jonier irgend Etwas beschließen, was uns zu Grunde richten kann. Diesen Rath gab Gobryas.


***
135.

Darius aber, sowie es Nacht geworden war, befolgte diesen Rath. Die Schwächlichen und Kranken seines Heeres, sowie diejenigen, deren Verlust ganz gering anzuschlagen war, ließ er mit allen den Eseln, die er hatte anbinden lassen, dort zurück in dem Lager. Er ließ aber die Esel und die Schwächlichen seines Heeres aus dem Grunde zurück, damit die Esel ein Geschrei erheben möchten, die Menschen aber wurden wegen ihrer Schwäche zurückgelassen, unter dem Vorwand nemlich, daß er selbst mit dem Kern des Heeres die Scythen angreifen wolle, und Jene das Lager während dieser Zeit bewahren sollten. Diese Weisung gab Darius den Zurückgebliebenen; dann ließ er Feuer anzünden und eilte schleunigst nach dem Ister. Es erhoben aber die Esel, als sie von dem Heereshaufen verlassen waren, ein noch weit größeres Geschrei und glaubten die Scythen, als sie die Esel so schreien hörten, es wären die Perser noch an ihrer Stelle.




136.-139

Wie es aber Tag geworden war, erkannten die Zurückgebliebenen, daß sie von Darius im Stich gelassen waren, sie streckten die Hände aus zu den Scythen und sagten, was sich für sie ziemte. Diese aber, sowie sie es vernommen, traten auf's schleunigste zusammen, die beiden Abtheilungen der Scythen[*] Sund die Abtheilungen der Budinen und Gelonen mit den Sauromaten[**] ), und verfolgten die Perser in gerader Richtung nach dem Ister. Da nun das Persische Heer zum großen Theil aus Fußvolk bestand und die Wege nicht kannte, eben weil es keine gebahnten Wege waren, die Scythen aber Reiter waren und die Abkürzungen des Weges kanuten, so verfehlten sie einander und kamen die Scythen lange vor den Persern an die Brücke. Wie sie nun merkten, daß die Perser noch nicht angekommen waren, sprachen sie zu den Ioniern, welche auf den Schiffen sich befanden: Ihr Jonier! die Zahl eurer Tage ist abgelaufen; ihr thut Unrecht, noch länger zu bleiben. Früher bliebt ihr aus Furcht, jetzt aber brecht die Brücke ab, und-zieht schleunigst von dannen; freuet euch der Freiheit und wisset Dank den Göttern wie den Scythen; den aber, der früher euer Gebieter war, wollen wir in eine solche Lage bringen, daß er gegen keinen Menschen mehr zu Felde ziehet.


***
137.

Darauf hin pflogen die Jonier Rath mit einander. Miltiades[***] ), welcher der Feldherr und Herrscher war über die am Hellespont wohnenden Chersoniten, war der Meinung, den Scythen zu folgen und Jonien zu befreien; dieser entgegengesetzt war die des Histiäus von Milet, welcher sich dahin aussprach, durch Darius sei ein Jeder von ihnen Herr einer Stadt; würde aber die Macht des Darius vernichtet, so werde er selbst ebenso wenig im Stande sein, die Herrschaft über die Milesier zu behaupten, als irgend ein anderer von ihnen über irgend eine andere Stadt, denn eine jede derselben werde lieber eine Volksherrschaft wollen als die Herrschaft eines Einzigen[*] ). Sowie Histiäus diese Meinung vortrug, traten Alle sogleich derselben bei, während sie vorher die des Miltiades billigten.



***
138.

Diejenigen aber, welche ihre Stimme abgaben und bei dem Könige in Ansehen standen, waren die Herrscher über die Hellespontier; Daphnis von Abydus, Hippoklus von Lampsacus Herophantus von Parium, Metrodorus von Prokonnesus, Aristagoras von Cycicus, Ariston von Byzanz; dieß waren die herrscher aus dem Hellespont; aus Jonien waren Strattis von Chius, Aiates von Samus, Leodamas von Phokäa und Histiäus von Milet, dessen Meinung, wie sie vorlag, der des Miltiades entgegengesetzt war. Von Aeolien war nur ein Mann von Ansehen dabei, Aristagoras von Cumä.



***
139.

Als diese nun die Meinung des Histiäus annahmen, beschlossen sie noch Folgendes in Wort und That hinzuzufügen: sie wollten den Theil der Brücke, welcher auf der Seite der Scythen war, abbrechen, aber abbrechen nur so weit, als ein Bogenschuß reicht, damit es doch aussähe, als thäten sie Etwas, während sie Nichts thaten und die Scythen nicht versuchen würden mit Gewalt über den Ister bei der Brücke zu sehen; und wenn sie den Theil der Brücke, der nach dem Scythischen Lande zu liegt, abbrachen, wollten sie erklären, sie würden Alles thun, was den Scythen angenehm sei. Dieses war es, was sie jener Meinung noch beifügten. Histiäus aber übernahm hernach für Alle die Antwort und sprach also: Ihr Scythen seid gekommen, Gutes uns zu bringen und eure Mahnung kommt zur rechten Zeit! Und so, wie ihr uns auf den richtigen Weg geführt, werden auch wir bedacht sein, euch zu dienen. Wir brechen, wie ihr seht, die Brücke ab und werden allen Eifer anwenden, da wir frei sein wollen. Während wir aber mit dein Abbrechen dieser Brücke beschäftigt sind, habt ihr die rechte Zeit, jene aufzusuchen und, wenn ihr sie gefunden, für uns wie für euch selbst Rache zu nehmen, so wie es ihnen gebührt.




140.

Die Scythen traueten den Ioniern zum zweitenmal, daß sie die Wahrheit sprächen, und kehrten um zum Aufsuchen der Perser, verfehlten aber gänzlich den Weg derselben. Die Schuld daran trugen die Scythen selbst, welche die dort befindlichen Weiden der Pferde verheert und die Wasser verschüttet hatten. Hätten sie nemlich dieß nicht gethan, so wäre es ihnen, wenn sie gewollt hätten, ein Leichtes gewesen, die Perser aufzufinden, so aber verfehlten sie es gerade in dem, was sie glaubten, auf das Beste überlegt zu haben. Die Scythen nemlich durchzogen denjenigen Theil ihres Landes, wo Futter für die Pferde und Wasser war, und suchten auf diesem Wege die Feinde auf, weil sie glaubten, es würden auch diese durch solche Strecken den Rückzug nehmen; die Perser aber zogen auf der früheren Spur ihres Weges, welche sie sich gemerkt, und fanden so mit knapper Noth den Uebergang. Weil sie aber in der Nacht ankamen und auf die abgebrochene Brücke stießen, geriethen sie in große Angst, es möchten die Jonier sie verlassen haben.



141.-144

Es befand sich jedoch bei dem Darius ein Aegyptier, welcher die stärkste Stimme unter Allen hatte: diesem Mann gebot Darius, an den Rand des Ister sich zu stellen und nach dem Histiäus von Milet zu rufen. Er that dieß auch, und Histiäus, welcher auf den ersten Ruf gehört hatte, schaffte sofort alle Schiffe herbei zum Uebersetzen des Heeres und fügte die Brücke wieder zusammen.


***
142.

So entrannen nun die Perser; die Scythen aber, welche die Perser suchten, verfehlten sie auch zum zweitenmal, und daher halten sie die Jonier, als Freie betrachtet, für die schlechtesten und feigsten von allen Menschen; betrachtet man aber die Jonier als Sclaven, so sind sie, nach dem Ausspruch der Scythen, solche, die ihren Herrn recht ergeben sind und durchaus nicht davon laufen wollen. In dieser Weise nun haben die Scythen ihren Spott gegen die Jonier ausgelassen.



***
143.

Darius aber zog durch Thracien und kam nach Sestus im Chersonesus[*] ). Von da ging er zu Schiffe über nach Asien und ließ in Europa als Feldherrn den Megabyzus *) zurück, einen Perser, welchem Darius einst eine große Ehre erwiesen hatte, indem er über ihn in Persien folgendes Wort aussprach[**] Als Darius Granatäpfel ) essen wollte, und eben den ersten Apfel geöffnet hatte, frug ihn sein Bruder Artabanus, was er wohl in eben so großer Menge zu haben wünsche, als es Kerne in dem Granatapfel wären. Da erwiederte Darius, er wolle lieber eben so viele Megabyzus' haben, als daß ihm Hellas unterthan wäre. Also ehrte er ihn im Perserlande durch ein solches Wort; damals aber ließ er ihn als Feldherrn zurück mit achtzigtausend Mann seines Heeres.



***
144.

Dieser Megabyzus hat sich durch das folgende Wort, das er gesprochen, ein unsterbliches Andenken bei den Hellespontiern hinterlassen. Als er nemlich zu Byzanz war, hörte er, daß die Chalcedonier siebenzehn Jahre früher als die Byzantiner in dieser Gegend sich niedergelassen; wie er dieß nun vernommen, sagte er, die Chalcedonier wären eben wohl blind gewesen in dieser Zeit, denn sonst würden sie wohl nicht das häßliche Land gewählt haben, da sie in einem schöneren sich niederlassen konnten, wenn sie nicht blind gewesen wären[***] ). Dieser Megabyzus nun, der damals als Feldherr in dem Lande der Hellespontier zurückgelassen war, unterwarf alle diejenigen, welche nicht medisch gesinnt waren. Also machte es Dieser.




145.-146

Um dieselbe Zeit[*] ) fand ein anderer großer Heereszug wider Libyen statt, aus einer Veranlassung, welche ich angeben werde, wenn ich vorher noch Folgendes erzählt habe[**] ). Die Nachkommen der Söhne derjenigen, welche auf der Argo gefahren, waren von den Pelasgern, welche aus Brauron[***] ) die Weiber der Athener geraubt hatten, aus Lemnus vertrieben worden und begaben sich über die See nach Lacedämon, wo sie am Taygetus sich niedersetzten und Feuer anzündeten. Alis die Lacedämonier dieß bemerkt hatten, schickten sie einen Boten zu ihnen, um zu erfragen, wer sie wären und woher sie wären. Auf die Frage des Boten erwiederten sie, sie wären Minyer und Nachkommen der Helden, welche auf der Argo gefahren[†] ); diese hätten bei Lemnus gelandet und sie erzeugt. Als die Lacedämonier die Angabe über die Abkunft der Minyer vernommen, schickten sie zum zweitenmal und ließen fragen, in welcher Absicht sie in das Land gekommen und Feuer angezündet hätten; worauf diese erklärten, sie wären von den Pelasgern vertrieben in das Land ihrer Väter gekommen, wie dieß denn doch eine ganz gerechte Sache sei; ihre Bitte gehe dahin, mit ihnen zusammen zu wohnen, und einen Antheil an den Ehren, sowie Zuweisung eines Stück Landes zu erhalten. Darauf beschlossen die Lacedämonier die Minyer unter den von ihnen selbst gewünschten Bedingungen aufzunehmen, wozu sie insbesondere die Fahrt der Tyndariden[*] ) auf der Argo bewog. Sie nahmen demnach die minyer auf, gaben ihnen einen Antheil an Land und vertheilten sie in ihre Stämme[**] ); diese gingen aber sofort Ehen ein und überliessen die von Lemnus mitgebrachten Weiber Andern.


***
146.

Aber nach Verlauf von nicht langer Zeit wurden die Minyer bald übermüthig, indem sie einen Antheil an dem Königthum verlangten und andere frevelhafte Dinge verübten. Da beschlossen die Lacedämonier sie tödten, ergriffen auch dieselben und warfen sie in's Gefängniß; die Lacedämonier nemlich tödten diejenigen, welche sie tödten wollen, bei der Nacht, Niemanden bei Tage. Wie sie nun jene eben hinrichten wollten, baten die Weiber, welche Bürgerinnen waren und Töchter der ersten Spartaner, es sich aus, in das Gefängniß zu treten und sich zu besprechen, eine jede mit ihrem Mann; man ließ sie auch herein, weil man nicht dachte, daß irgend eine List von ihrer Seite stattfinde. Als sie aber eingetreten waren, thaten sie Folgendes: die ganze Kleidung, welche sie hatten, übergaben sie den Männern und legten selbst die der Männer an. So kamen die minyer, welche die weibliche Kleidung angezogen hatten, als Weiber heraus, und nachdem sie auf solche Weise entkommen waren, setzten sie sich wieder an dem Taygetus.




147.-148

Um eben diese Zeit aber zog Theras, der Sohn des Autesion, des Sohnes des Tisamenus, des Sohnes des Thersander, des Sohnes des Polynices, von Lacedämon aus zur Grüne dung einer Kolonie; dieser Theras war seiner Abkunft nach ein Kadmeer, der Mutterbruder der Söhne des Aristodemus[*] ). Eurystheus und Procles; und da diese noch ganz kleine Kinder waren, so hatte Theras, als ihr Vormund, das Königthum zu Sparta inne. Als aber die Neffen herangewachsen waren und die Herrschaft übernommen hatten, erklärte Theras, welcher nicht gern von Andern sich regieren lassen wollte, nachdem er selbst die Herrschaft gekostet, er werde nicht in Lacedämon bleiben, sondern zu seinen Verwandten fortschiffen. Es befanden sich nemlich auf der Insel, welche jetzt Thera[**] ) heißt und früher Kalliste genannt wurde, Nachkommen des Membliarus, des Sohnes des Poiciles, eines Phöniciers. Denn Cadmus, der Sohn des Agenor. hatte, als er die Europa suchte, auf der Insel, welche jetzt Thera heißt, gelandet, und nachdem er gelandet war, sei es, daß die Gegend ihm gefiel, oder daß er überhaupt dieß zu thun wünschte, ließ er auf der Insel außer andern Phöniciern auch seinen eigenen Anverwandten Membliarus zurück, und wohnten dieselben auf der damals Kalliste genannten Insel acht Menschenalter lang, ehe Theras aus Lacedämon kam.


***
148.

Zu diesen nun gedachte Theras, welcher allerlei Volk aus den Stämmen ***) bei sich hatte, sich zu begeben, um mit denselben zusammen zu wohnen und keineswegs um sie zu vertreiben, sondern wie einer, der sich ganz als einen Angehörigen derselben betrachtete. Als nun die Minyer, die aus dem Gefängniß entlaufen waren, damals an dem Taygetus saßen, und die Lacedämonier dieselben tödten wollten, so legte, damit kein Mord geschähe, Theras Fürbitte ein und versprach sie aus dem Lande wegzuführen Als damit die Lacedämonier einverstanden waren, so schiffte er mit drei Dreißigruderern zu den Nachkommen des Membliarus, nahm jedoch nicht alle die Minyer mit, sondern nur einige wenige; denn die Meisten derselben hatten sich zu den Paroreaten und Kaukonen[*] ) gewendet, vertrieben dann dieselben aus ihrem Lande und theilten sich in sechs Abtheilungen, gründeten hernach auch folgende Städte in ihrem Lande: Lepreum, Macistus, Phrixä, Pyrgus, Epium und Nudium; von diesen haben die Eleer zu meiner Zeit die meisten verheert. Die Insel aber erhielt von ihrem Gründer den Namen Thera.




149.

Sein Sohn aber erklärte, er werde nicht mitschiffen; deßhalb sagte Theras, er werde ihn wie ein Lamm unter den Wölfen zurücklassen; nach diesem Wort erhielt der junge Mensch den Namen Oiolycus[**] ), und ist auch dieser Name in Geltung geblieben. Von Oiolycus aber stammt Aegeus ab, nach welchem die Aegiden genannt werden, ein grosser Stamm[***] ) zu Sparta. Die Männer dieses Stammes hatten, weil ihre Kinder nicht am Leben geblieben waren, zufolge eines Götterspruchs ein Heiligthum der Erinnyen des Laius und des Oedipus errichtet ); und hernach ist auch zu Thera für die, welche von diesen Männern abstammen, dieselbe Sitte geblieben[**] ).



150.

Bis zu diesem Punkte nun stimmen die Lacedämonier mit den Theräern in der Erzählung überein; von da an aber erzählen die Theräer allein, sei es also gegangen. Grinus, des Aesanius Sohn, welcher ein Nachkomme dieses Theras war und König der Insel Thera[***] ), kam nach Delphi und brachte von seiner Stadt eine Hecatombe mit. Auch andere seiner Mitbürger waren ihm gefolgt, darunter auch Battus, des Polynnestus Sohn, seiner Abkunft nach ein Euphemide aus dem Geschlecht der Minyer. Als nun Grinus, der König der Theräer, das Orakel über andere Dinge befrug, gab ihm die Pythia den Rath, eine Stadt in Libyen zu gründen. Er aber erwiederte darauf: O Herrscher! ich bin zu alt und zu schwerfällig, um mich aufzumachen; fordere lieber einen der Jüngeren auf, dieß zu thun. Und bei diesen Worten wies er auf den Battus hin. Das geschah damals; hernach aber, als sie weggegangen waren, beachteten sie den Orakelspruch nicht weiter, weil sie nicht wußten, wo auf der Welt Libyen sei, und auch nicht wagten, auf's Ungewisse hin eine Kolonie abzuschicken.



151.

Hernach jedoch regnete es in sieben Jahren nicht zu Thera, und alle Bäume, welche sie auf der Insel hatten, verdorrten in dieser Zeit, mit Ausnahme eines einzigen. Als darauf die Theräer sich wieder an das Orakel wendeten, hielt ihnen die Pythia die Kolonie nach Libyen vor. Da schickten sie, weil sie kein Mittel wider das Uebel hatten, Boten nach Kreta[*] ), welche fragen sollten, ob Jemand von den Kretern oder von ihren Beisassen nach Libyen gekommen wäre. Während sie nun auf der Insel herumzogen, kamen auch zu der Stadt Itanus[**] ); in derselben trafen sie zusammen mit einem Purpurfärber, dessen Name Korobius war; dieser erzählte ihnen, wie er von Winden verschlagen nach Libyen gekommen sei und in Libyen nach der Insel Platea ***). Diesen Mann nahmen sie dann mit nach Thera, nachdem sie ihn durch Lohn dazu gebracht hatten. Von Thera aber schifften zuerst Späher aus, nicht viele; und als Korobius sie nach dieser Insel Platea geführt hatte, so ließen sie dort den Korobius mit Lebensmitteln auf so und so viele Monate, und fuhren schleunigst ab, um den Theräern Nachricht zu geben über die Insel.



152.

Diese blieben indeß längere Zeit über die Verabredung aus, und so gingen dem Korobius alle Lebensmittel aus. Da ward ein Samisches Schiff, dessen Eigenthümer Koläus war, auf der Fahrt nach Aegypten[†] ), nach dieser Insel Platea verschlagen, und die Samier, als sie von Korobius die ganze Erzählung vernommen hatten, ließen ihm Lebensmittel auf ein Jahr zurück; sie selbst aber segelten wieder von der Insel ab, und während sie nach Aegypten fuhren, wurden sie auf der Fahrt durch einen Ostwind weggetrieben, und so schifften sie, da der Wind nicht nachließ, durch die Säulen des Herkules und gelangten nach Tartessus[*] ), wie durch göttliche Fügung. Dieser Handelsplatz nemlich war zu dieser Zeit noch unberührt[**] ), so daß die Samier, als sie zurückgekehrt waren, den größesten Vortheil unter allen Hellenen, von denen wir dieß mit Bestimmtheit wissen, aus ihren Waaren gemacht haben, das heißt nach dem Sostratus, dem Sohne des Laodamas aus Aegina[***] ); denn mit diesem kann sich unmöglich ein Anderer messen. Von diesem Gewinn nahmen die Samier den zehnten Theil, im Betrag von sechs Talenten[†] ), und ließen davon ein ehernes Gefäß verfertigen, nach Art eines Argolischen Mischkruges, an welchem rings herum Köpfe von Greifen hervorsprangen. Sie weiheten dasselbe in das Heiligthum der Here[††] ), nachdem sie drei eherne Kolosse von sieben Ellen, welche auf den Knien lagen, darunter hatten aufstellen lassen †††). Von diesem Werke zuerst rührt die große Freundschaft her, welche die Cyrenäer und Theräer mit den Samiern verbindet.



153.

Als aber die Theräer, welche den Korbius auf der Insel zurückgelassen hatten, nach Thera gekommen waren, meldeten sie, daß sie eine Insel an der Küste von Libyen für eine Kolonie besetzt hätten. Darauf beschlossen die Theräer von zwei Brüdern den einen, welchen das Loos dazu bestimmt, dahin zu schicken und Männer aus allen Distrikten, deren es sieben waren: ihr Führer und König solle Battus sein. Also schickten sie zwei Fünfzigruderer nach der Insel Platea.



154.-156

Dies erzählen die Theräer; in der übrigen Erzählung aber stimmen die Theräer schon mit den Cyrenäern überein; nur hinsichtlich des Battus stimmen die Cyrenäer keineswegs mit den Theräern überein, sie erzählen nemlich also. In Kreta ist eine Stadt Axus[*] ), in welcher Etearchus König war, welcher zu seiner Tochter, mit Namen Phronime[**] ), welche ihre Mutter verloren, ein anderes Weib nahm. Als diese in das Haus gekommen war, glaubte sie auch durch die That als Stiefmutter gegen die Phronime sich zeigen zu müssen, indem sie ihr alles Leid anthat, und alles Mögliche gegen sie ersann; zuletzt warf sie ihr Unzüchtigkeit vor, und überredete ihren Mann, daß dem wirklich so sei. Dieser, von seinem Weibe beredet, ersann eine ganz frevelhafte That wider seine Tochter. In der Stadt Axus befand sich damals Themison[***] ), ein Kaufmann aus Thera; diesen hatte Etearchus gastlich bei sich aufgenommen, und dann einen Eid schwören lassen, daß er ihm den Dienst erweisen wolle, den er nur immer von ihm verlange. Als er ihn zu diesem Eid gebracht hatte, nahm er seine Tochter und übergab sie demselben mit dem Auftrag, sie wegzubringen und im Meer zu ertränken. Themison aber, aus Unwillen über die zu diesem Eid angewendete List, entsagte sofort der Gastfreundschaft und that Folgendes: er nahm das Mädchen und segelte mit ihr davon; wie er aber auf der hohen See war, ließ er, um den Eid, den er dem Etearchus geleistet, zu erfüllen, dieselbe, an Stricke gebunden, in das Meer hinab, zog dann wieder herauf und kam so mit ihr nach Thera.


***
155.

Hier nahm Polymnestus, der ein angesehener Mann unter den Theräern war, die Phronime auf und behielt als Kebsweib bei sich; nach Verlauf einiger Zeit gebar sie ihm einen Sohn, welcher mit der Stimme stammelte und stotterte und den Namen Battus erhielt, wie die Theräer und Cyrenäer behaupten; wie ich jedoch glaube, hatte er einen andern Namen[*] ), welcher in den Namen Battus umgewandelt wurde, indem er, sowie er nach Libyen gekommen war, nach dem Orakelspruch, welcher ihm zu Delphi geworden war, und nach der Ehre, die er bekleidete, diesen Namen erhielt. Denn bei den Libyern heißt Battus König, und deßhalb glaube ich hat die Pythia in ihrer Weissagung ihn in Libyscher Sprache angeredet, weil sie wußte, daß er König in Libyen sein werde. Als er nemlich Mann geworden war, kam er nach Delphi wegen seiner Stimme, wo ihm auf seine Frage die Pythia Folgendes antwortete:

Battus! du bist ob der Stimme gekommen; doch Phöbus Apollo Schickt nach Libyen dich, dem heerdenreichen[**] ), als Pflanzer.

Wie man in Hellenischer Sprache sagen würde: O König! du bist um der Stimme willen gekommen. Er aber erwiederte darauf mit Folgendem: O König! bin zu dir gekommen, um wegen meiner Stimme dich zu befragen; du aber gibst mir etwas Anderes an, was mir unmöglich ist, indem du mich aufforderst, eine Niederlassung zu gründen in Libyen; mit welcher Macht und mit welcher Mannschafts Durch diese Worte konnte er jedoch den Gott nicht bewegen, ihm eine andere Antwort zu ertheilen, und da ihm die Pythia auf dieselbe Weise wie auch vorher weissagte, machte er sich sofort auf und eilte nach Thera zurück.



***
156.

Hernach aber ging es ihm selbst wie den übrigen Theräern wiederum recht schlimm[***] ), und die Theräer, die den Grund ihrer Leiden nicht kannten, schickten nach Delphi wegen ihrer gegenwärtigen schlimmen Lage. Da gab die Pythia ihnen den Spruch, sie sollten mit Battus Cyrene in Libyen gründen; dann werde es ihnen besser ergehen. Nach diesem entsendeten die Theräer den Battus mit zwei Fünfzigruderern. Diese aber, nachdem sie nach Libyen geschifft waren, kehrten, weil sie nicht wußten, was sie anders thun sollten, wieder nach Thera zurück. Da schossen die Theräer auf sie, als sie sich dem Lande näherten, und wollten sie nicht landen lassen, sondern forderten sie auf, wieder umzukehren. So zur Umkehr genöthigt, ließen sie dann auf der bei Libyen liegenden Insel, welche, wie schon früher bemerkt worden *), Platea heißt, sich nieder, es soll aber die Insel der jetzigen Stadt der Cyrenäer gleich sein.




157.

Hier wohnten sie zwei Jahre lang; da es ihnen aber in Nichts besser ging, so ließen sie Einen der Ihrigen zurück und alle Andern fuhren ab nach Delphi, wo sie nach ihrer Ankunft an das Orakel sich wendeten mit der Versicherung, sie wohnten in Libyen und es gehe ihnen um nichts besser, seit sie dort wohnten. Darauf ertheilte die Pythia ihnen folgenden Spruch:

Wenn du besser als ich, der ich dort war, Libyens Triften
Kenntest auch ohne Besuch, so bewundr' ich sehr deine Weisheit.

Als Battus mit seinen Leuten dieß gehört hatte, fuhren sie wieder ab; denn der Gott entband sie nicht von der Ansiedelung, bevor sie nach Libyen selbst gekommen wären. Als sie nun zu der Insel gekommen waren, nahmen sie den, welchen sie zurückgelassen hatten, an Bord und ließen sich gegenüber der Insel an einem Orte in Libyen selbst nieder, mit Namen Aziris[**] ), welcher von den schönsten Waldeshöhen zu beiden Seiten eingeschlossen ist, während auf der andern Seite ein Fluß vorbeifließt.



158.

An diesem Orte wohnten sie sechs Jahre lang; im siebenten aber baten sich die Libyer es aus, sie nach einem andern Orte zu führen, und bewogen sie, den Ort zu verlassen. Die Libyer, welche sie zum Aufbruch veranlaßt hatten, führten sie dann von da in westlicher Richtung, und damit auf dem Durchzug die Griechen den schönsten unter allen Plätzen nicht bemerkten, so massen sie die Zeit des Tages ab, und führten sie bei Nacht vorbei; es hat dieser Ort den Namen Irasa[*] ). Darauf führten sie dieselben zu einer Quelle[**] ), welche dem Apollo geheiligt sein soll und sprachen; Ihr Hellenen, hier ist es für euch passend zu wohnen, denn hier ist der Himmel durchlöchert[***] ).



159.

Während der Lebenszeit des Battus, des Gründers, welcher vierzig Jahre lang herrschte und seines Sohnes Arcesilaus, welcher sechzehn Jahre herrschte, wohnten hier die Cyrenäer und waren hier eben so Viele, als von Anfang an in die Kolonie abgeschickt worden waren; unter dem dritten Könige Battus[*] ) aber, welcher den Beinamen Eudaimon (der Glückliche ) führt, trieb die Pythia durch einen Orakelspruch alle Hellenen an, nach Libyen zu schiffen, und dort mit den Cyrenäern zusammen zu wohnen, denn die Cyrenäer hatten sie zu einer Vertheilung von Land herbeigerufen. Der Spruch der Pythia lautete folgendermaßen:

Wer erst später nach Libyen kommt, dem ersehneten Lande,
Wenn sie getheilet das Land, den soll es wohl fürder gereuen.

Als darauf hin ein großer Haufe[**] ) nach Cyrene zusammengekommen war, entrissen sie ein großes Stück Land den umwohnenden Libyern und ihrem König, welcher den Namen Adikran hatte; diese aber, weil sie ihres Landes beraubt und von den Eyrenäern mißhandelt wurden, schickten nach Aegypten und übergaben sich an Apries[***] ), den König von Aegypten, welcher ein großes Ägyptisches Heer sammelte und gegen Cyrene Schickte. Da zogen die Cyrenäer aus nach dem Orte Irasa und zur Quelle Theste, wo sie mit den Aegyptiern zusammentrafen und diese in dem Zusammenstoß besiegten. Es wurden aber die Aegyptier, welche sich früher mit den Hellenen noch nicht versucht hatten und diese verachteten, so gänzlich vernichtet, daß nur Wenige von ihnen nach Aegypten zurückkehrten. Dafür fielen die Aegyptier von Apries ab, auf welchen sie die Schuld dieser Niederlage warfen.



160.

Der Sohn dieses Battus war Arcesilaus, welcher, als er zur königlichen Würde gelangt war[*] ), mit seinen Brüdern in Streit gerieth, bis diese ihn verließen und nach einer andern Gegend Libyens zogen, wo sie denn auch für sich allein die Stadt gründeten, welche damals und jetzt Barce[**] ) genannt wird; während sie aber dieselbe gründeten, bewogen sie die Libyer zum Abfall von den Cyrenäern. Hernach zog Arcesilaus zu Felde gegen diejenigen Libyer, welche seine Brüder aufgenommen hatten und ebenfalls abgefallen waren; die Libyer jedoch ergriffen aus Furcht vor ihnen die Flucht zu den ostwärts wohnenden Libyern. Arcesilaus aber folgte ihnen auf der Flucht, bis daß er auf der Verfolgung nach Lenkon[***] ) in Libyen gekommen war, wo die Libyer ihn anzugreifen beschlossen. In diesem Kampf errangen die Libyer über die Cyrenäer einen solchen Sieg, daß von diesen siebentausend Schwerbewaffnete fielen. Nach dieser Niederlage erstickte den Arcestlaus, welcher krank war und ein Heilmittel genommen hatte, sein Bruder Learchus, diesen aber tödtete durch List das Weib des Arcesilaus, deren Namen Eryxo war.



161.

Das Königthum übernahm Battus, des Arcesilaus Sohn, welcher hinkend war und nicht recht gehen konnte. Die Cyrenäer aber schickten wegen des Unglücks, das sie betroffen, nach Delphi, um zu fragen, auf welche Weise sie ihr Gemeinwesen einrichten sollten, um recht glücklich zu leben; worauf die Pythia ihnen den Rath gab, aus Mantinea in Arkadien sich Jemanden zu holen, der Alles gehörig ordne. Demgemäß baten die Cyrenäer um einen solchen und die Mantineer gaben ihnen einen der geachtetsten Bürger, mit Namen Demonax[*] ). Dieser Mann kam nun nach Cyrene, und nachdem er von Allem Einsicht genommen, theilte er die Bewohner in drei Stämme **), wobei er in folgender Weise zu Werke ging. Von den Theräern und den Umwohnenden[***] ) bildete er eine Abtheilung, eine andere aus den Peloponnesiern und Kretern; die dritte aber aus allen Inselbewohnern. Hernach wählte er für den König Battus Ländereien ) aus, sowie die priesterlichen Würden[††] ); alles Andere aber, was die früheren Könige hatten, überließ er dem Volk.



162.

Unter diesem Battus blieb es dabei; aber unter seinem Sohn Arcesilaus entstand eine große Unruhe wegen der Würden und Aemter. Denn Arcesilaus, der Sohn jenes hinkenden Battus und der Pheretime erklärte, er ließe sich es nicht gefallen, sowie Demonax aus Mantinea es eingerichtet hatte, Sondern er verlangte die Ehren und Würden seiner Vorfahren. So kam es zu einem Aufstand, in welchem er unterlag; er entfloh nach Samus[*] ), während seine Mutter sich nach Salamis auf Cypern flüchtete. Ueber Salamis herrschte zu dieser Zeit Euelthon, welcher zu Delphi das Rauchfaß, welches sehenswerth ist und in dem Schatzhaus[**] ) der Korinther liegt, geweihet hat. Zu diesem kam Pheretime und bat ihn um ein Heer, welches sie nach Cyrene zurückführen würde. Euelthon aber versprach ihr Alles eher zu geben, als ein Heer; sie nahm auch, was ihr geboten ward, an und versicherte, es sei dieß ganz schön, noch schöner aber, ihre Bitte um ein Heer zu gewähren; und dieß sagte sie bei Allem, was ihr gegeben ward. Zuletzt schickte ihr Euelthon zum Geschenk eine goldene Spindel und einen Rocken, wobei auch etwas Wolle war, und als Pheretime wiederum dieselbe Bitte aussprach, so erwiederte Euelthon, mit solchen Dingen beschenke man die Weiber, aber nicht mit einem Heer.



168.-164

Arcestlaus, welcher zu dieser Zeit in Samus sich aufhielt, suchte hier allerlei Volk zusammenzubringen in der Aussicht einer Austheilung von Land. Als auf diese Weise nun ein großer Heereshaufe zusammengebracht ward, begab sich Arcesilaus nach Delphi, um das Orakel wegen der Rückkehr zu befragen. Die Pythia aber ertheilte ihm folgende Antwort: auf vier Battus und vier Arcesilaus, also auf acht Menschenalter, gibt euch Loxias[***] ) die Herrschaft über Cyrene; über diese Zeit hinaus räth er euch jedoch nicht, es zu versuchen. Indessen verhalte du dich ruhig, wenn du in dein Land zurückgekehrt bist; findest du aber den Ofen voller Krüge, so laß die Krüge nicht ausbrennen, sondern bringe sie an die Luft. Wenn du jedoch den Ofen ausbrennen willst, so trete nicht in die umflossene Stätte, sonst wirst du zu Grunde gehen, du selbst, sowie der schönste Stier.


***
164.

Diesen Spruch gab die Pythia dem Arcesilaus. Dieser nahm darauf seine Leute von Samus und kehrte mit ihnen nach Cyrene zurück, wo er, nachdem er die Macht wieder an sich gebracht, des Orakels nicht mehr gedachte, sondern seine Widersacher wegen seiner Flucht vor Gericht zog. Von diesen zogen nun die einen ganz fort aus dem Lande, etliche andere aber bekam Arcesilaus in seine Gewalt und diese schickte er weg nach Cypern, zu ihrem Untergang. Aber die Knidier, an deren Land sie verschlagen worden waren, retteten sie und schickten sie nach Thera; einige andere jedoch von den Cyrenäern, welche in einen großen, einem Privatmann Aglomachus gehörigen Thurm geflohen waren, ließ Arcesilaus verbrennen, nachdem er um den Thurm herum Holz aufgehäuft hatte. Nach vollbrachter That erst ward er inne, daß darauf der Orakelspruch sich beziehe, weil ihm Pythia mißrathen hatte, die Krüge in dem Ofen auszubrennen, und von nun an entsagte er freiwillig der Stadt der Cyrenäer, weil er vor dem ihm geweissagten Tod sich fürchtete und unter der umflossenen Stätte Cyrene verstand; da er nun eine Verwandte zur Frau hatte, die Tochter des Königs der Barcäer, welcher Alazier hieß, so begab er sich zu diesem, und hier, wo ihn Männer aus Barce und einige von den Flüchtlingen aus Cyrene auf dem Markte erblickten, brachten sie ihn um und außerdem noch seinen Schwiegervater Alazir. Auf solche Weise erfüllte Arcesilaus, nachdem er, es sei wissentlich oder ohne Wissen, in dem Orakel sich getäuscht hatte, sein Schicksal.




165.

So lange als Arcesilaus, der seines eigenen Unglückes Ursache gewesen war, zu Barce sich aufhielt, behielt seine Mutter Pheretime die Ehren und Würden ihres Sohnes zu Cyrene, sie besorgte die übrigen Geschäfte und hatte in dem Rath[*] ) ihren Sitz; wie sie aber den Tod ihres Sohnes zu Barce vernommen hatte, ergriff sie die Flucht nach Aegypten; denn ihr Sohn Arcesilaus hatte dem Cambyses, dem Sohne des Cyrus, wesentliche Dienste erwiesen, da er es war, welcher Cyrene dem Cambyses übergeben und sich einen Tribut hatte auflegen lassen[*] ). Pheretime, sowie sie nach Aegypten gekommen war, begab sich zu Aryandes, um Schutz flehend und um Beistand für sich bittend, unter dem Vorwande, daß ihr Sohn wegen seiner Medischen[**] ) Gesinnung umgebracht worden sei.



166.

Dieser Aryandes war zum Statthalter von Aegypten durch Cambyses bestellt worden und fand einige Zeit nachher, als er es dem Darius gleich thun wollte, seinen Tod. Er hatte nemlich vernommen und auch gesehen, daß Darius ein Denkmal von sich zu hinterlassen wünschte, wie ein solches von keinem andern Könige ausgeführt worden war; diesem wollte er es nachmachen, bis er seinen Lohn empfing. Darius nemlich hatte aus Gold, das so rein als möglich geläutert war, eine Münze schlagen lassen[***] ); Aryandes aber. als Statthalter von Aegypten, machte es ebenso mit dem Silber und noch jetzt ist das Aryandische Silber das reinste. Als nun Darius erfuhr, daß er dieß thue, so ließ er ihn umbringen, indem er ihm etwas Anderes zur Schuld gab, nemlich, daß er wider ihn sich erhebe.



167.

Damals aber hatte dieser Aryandes Mitleiden mit Pheretime und gab ihr das ganze Heer aus Aegypten, die Landmacht wie die Seemacht; zum Befehlshaber des Fußvolks ernannte er den Amasis, einen Maraphier, über die Seemacht setzte er den Badres, welcher seiner Herkunft nach ein Pasargade ) war. Bevor jedoch das Heer abzog, schickte Aryandes einen Herold nach Barce und ließ fragen, wer der sei, welcher den Arcesilaus umgebracht habe; die Barcäer nahmen es alle auf denn sie hätten von ihm viel Uebel erduldet. Wie Aryandes dieß gehört hatte, schickte er sofort das Heer ab zugleich mit der Pheretime. Diese Ursache nun ward zum Vorwande genommen; vielmehr wurde, wie ich glaube, das Heer abgeschickt zur Unterwerfung der Libyer; denn der Libyschen Völker sind es viele und mannigfache, nur wenige von denselben waren dem König unterthan, die Mehrzahl kümmerte sich gar nicht um Darins[*] ).



168.

Es wohnen aber die Libyer auf folgende Weise. Fängt man von Aegypten an, so kommen zuerst unter den Libyern die Wohnsitze der Adyrmachiden, welche meist Aegyptische Sitten haben, aber eine Kleidung tragen wie die übrigen Libyer. Die Weiber derselben tragen um jeden der beiden Schenkel eine eherne Spange; die Haare auf dem Kopf lassen sie wachsen, und wenn sie auf ihrem Kopfe Läuse fangen, so beißt eine Jede wieder die Laus und wirft sie dann weg. Sie sind die einzigen unter den Libyern, welche dieß thun, und ebenso sind sie auch die einzigen, welche dem Könige die Jungfrauen, welche sich verheirathen wollen, vorzeigen; diejenige aber, welche dem Könige am besten gefällt, wird durch ihn um ihre Jungfrauschaft gebracht. Es ziehen sich diese Adyrmachiden von Aegypten aus hin bis zu dem Hafen, welcher den Namen Plynus hat[*] ).



169.

An diese stoßen die Giligammen, welche das Land nach Westen zu bis zur Insel Aphrodisias[**] ) bewohnen. Mitten dazwischen liegt an der Küste die Insel Platea[***] ), auf welcher die Cyrenäer sich niederließen, und an dem festen Lande ist der Hafen des Menelaus und Aziris[†] ), welches die Cyrenäer bewohnen. Von hier an beginnt das Silphium[††] ) und zieht sich von der Insel Platea bis zur Mündung der Syrte[*] ). In ihren Sitten sind sie den übrigen ähnlich.



170.

An die Giligammen stoßen westwärts die Asbysten; sie wohnen über Cyrene hinaus und reichen nicht bis zum Meer; denn die Meeresküste haben die Cyrenäer inne; unter allen Libyern fahren sie am meisten mit Viergespannen[**] ), während sie sonst die meisten Sitten der Cyrenäer nachzuahmen suchen.



171.

An die Asbysten stoßen nach Westen zu die Auschisen, welche über Barce wohnen und an das Meer sich hinziehen bei den Euesperiden[***] ). Mitten in dem Lande der Auschisen wohnen die Bakaler, ein kleines Volk, welche sich an's Meer hinziehen bei der Stadt Taucheira[†] ) im Lande Barcäa; sie haben dieselben Sitten, wie die über Cyrene wohnenden.



172.

An die Auschisen stoßen westwärts die Nasamonen[††] ), welche ein zahlreiches Volk sind; im Sommer lassen sie ihre Heerden an dem Meere zurück und ziehen hinauf nach einem Orte Augila[†††] ) zur Aerndte der Datteln, welche dort zahlreich und sehr groß wachsen, auch alle Frucht tragen. Sie fangen Heuschrecken, trocknen sie dann an der Sonne und zerstoßen sie, hernach streuen dieselben auf Milch, welche sie trinken. Es hat ein Jeder, wie es üblich ist, viele Weiber, und pflegen sie mit denselben gemeinsam Umgang, in ähnlicher Weise wie auch die Massageten[*] ); sie stecken nemlich einen Stab vor sich in die Erde und dann pflegen sie mit ihnen Umgang. Wenn aber ein Nasamone erstmals eine Ehe eingeht, so ist es Sitte, daß die Braut in der ersten Nacht mit allen Gästen der Reihe nach Umgang pflegt, ein jeder derselben, sowie er mit ihr geschlafen hat, gibt ihr dann ein Geschenk, das er von Hause mitgebracht hat. Mit den Eidschwüren und der Weissagung halten sie es also: sie schwören bei den Männern, welche bei ihnen die gerechtesten gewesen sein sollen, indem sie deren Grab mit den Händen berühren; sie weissagen, indem sie zu den Grabesmalen ihrer Vorfahren ziehen, hier ein Gebet verrichten und dann dort sich schlafen legen; was nun ein Jeder im Traum für ein Gesicht hat, das nimmt er an. Einen Bund gegenseitiger Treue schließen sie in folgender Weise: Einer gibt dem Andern aus seiner Hand zu trinken, und dann trinkt er selbst aus der Hand des Andern; haben sie aber nichts Flüssiges da, so nehmen sie Staub von der Erde auf und lecken daran.



173.

Den Nasamonen benachbart sind die Psyllen, welche auf folgende Weise zu Grunde gegangen sind. Ein heftig wehender Südwind hatte die Wasserbehälter ausgetrocknet; es ist nemlich das ganze Land, welches innerhalb der Syrte[**] ) liegt, wasserlos. Sie beriethen sich darauf mit einander und zogen einmüthig wider den Südwind zu Felde (ich erzähle das, was die Libyer erzählen); als sie aber im Sande sich befanden, webete der Süd und verschüttete sie[***] ). In den Besitz des Landes kamen nach ihrem Untergang die Nasamonen.



174.

Oberhalb diesen nach Süden zu, in dem Land der wilden Thiere, wohnen die Garamanten[*] ), welche vor jedem Menschen, sowie vor dem Umgang mit Jedermann fliehen und gar keine kriegerische Waffe besitzen, noch sich zu wehren verstehen.



175.

Diese wohnen über den Nasamonen, an der Meeresküste stoßen daran westwärts die Maken, welche sich Zöpfe scheeren, indem sie mitten auf dem Kopf die Haare wachsen lassen, dagegen von der einen wie von der andern Seite dieselben abscheeren bis auf die Haut. In dem Krieg tragen sie zum Schutz Felle von Straußen. Durch ihr Land fließt der Fluß Cinyps, der von dem sogenannten Hügel der Charitinnen kommt und sich in's Meer ergiebt[**] ); dieser Hügel der Charitinnen ist dicht mit Wald bewachsen, während das übrige vorher beschriebene Libyen kahl ist. Von dem Meere aber bis dahin sind es zweihundert Stadien.



176.

An diese Maken stoßen die Gyndanen, deren Weiber alle um die Füße viele Bänder von Fellen tragen, aus folgender Ursache, wie angegeben wird: jedesmal wenn ein Weib Umgang gepflogen mit einem Mann, legt sie ein solches Band um ihre Füße an; diejenige Frau nun, welche die meisten Bänder hat, gilt anerkannt für die beste, weil sie von den meisten Männern geliebt worden ist.



177.

Ein in das Meer vorspringendes Stück Land der Gyndanen bewohnen die Lotophagen[*] ), welche blos von der Frucht des Lotus leben, die sie verzehren. Die Frucht des Lotus hat ungefähr die Größe eines Mastix, ist aber an Süßigkeit der Frucht des Dattelbaumes ähnlich. Aus dieser Frucht bereiten die Lotophagen auch Wein[**] ).



178.-179

An die Lotophagen stoßen längs der Meeresküste die Machlyer; auch diese genießen den Lotus, aber nicht in dem Grade, wie die vorher genannten. Sie ziehen sich hin bis zu einem großen Fluß, welcher den Namen Triton hat und in einen großen see, den Tritonischen, sich ergießt[***] ). In demselben liegt eine Insel, mit Namen Phla, auf welcher, wie man sagt, einem Götterspruch zufolge die Lacedämonier eine Niederlassung gründen sollten.


***
179.

Aber es wird auch folgende Sage[*] ) darüber erzählt, Als Jason mit dem Bau der Argo, am Fuße des Berges Pelion, fertig geworden, brachte er in dieselbe unter Anderem eine Hekatombe und auch einen ehernen Dreifuß; dann fuhr er um den Peloponnes herum, weil er nach Delphi gelangen wollte; wie er nun auf der Fahrt bei Malea[**] ) sich befand, ergriff ihn ein heftiger Nordwind[*] ) und verschlug ihn nach Libyen; ehe er noch das Land erblicken konnte, war er in die Untiefen des Tritonischen Sees gerathen. Und da er in Verlegenheit war, herauszukommen, soll ihm Triton **) erschienen sein und ihn aufgefordert haben, ihm den Dreifuß zu überlassen; dann. sagte er, wolle er den Weg ihm und seinen Leuten zeigen und sie unversehrt aus diesen Untiefen hinausbringen. Als Jason sich dazu verstand, so habe Triton ihnen die Durchfahrt durch die Untiefen gezeigt und den Dreifuß in seinen eigenen Tempel stellen lassen, wo er auf dem Dreifuß geweissagt und dem Jason und seinen Gefährten Alles angegeben, daß nemlich, wenn Einer der Nachkommen derer, welche auf der Argo mitgefahren, den Dreifuß weggebracht, dann nothwendig um den Tritonischen See hundert hellenische Städte entstehen müßten; die eingeborenen Libyer hätten dieß gehört und darum den Dreifuß verborgen.




180.

An diese Machlyer stoßen die Auseer, welche gleichfalls, wie die Machlyer, rings herum um den Tritonischen See wohnen; mitten hindurch fließt der Triton und bildet die Grenze zwischen beiden. Die Machlyer lassen .am hinteren Theile des Kopfes die Haare wachsen, die Auseer dagegen vorne. An dem jährlichen seite der Athene[***] ) trennen sich die Jungfrauen in zwei Theile und kämpfen dann wider einander mit Steinen und Keulen, wobei sie behaupten, sie feierten nach der Väter Sitte ein Fest der eingebornen Göttin, welche wir Athene nennen; die Jungfrauen, welche in diesem Kampfe an ihren Wunden sterben, nennen sie falsche Jungfrauen; ehe sie aber die Jungfrauen in den Kampf lassen, thun sie Folgendes: diejenige Jungfrau, welche allgemein für die schönste gilt, schmücken jedesmal mit einem Korinthischen Helm und mit einer vollständigen Hellenischen Rüstung, setzen sie dann auf einen Wagen und fahren sie ringsherum um den See. Womit sie aber vor Alters die Jungfrauen schmückten, ehe Hellenen bei ihnen sich niederließen, vermag ich nicht anzugeben; ich glaube vielmehr, daß sie dieselben mit Aegyptischen Waffen geschmückt haben; denn ich behaupte, daß von Aegypten der Schild und Helm zu den Hellenen gekommen ist. Die Athene aber, behaupten sie, wäre des Poseidon und der Tritonischen Seegöttin Tochter, welche, da sie über ihren Vater sich zu beschweren hatte, dem Zeus sich übergeben, welcher sie als seine Tochter angenommen. Dieses erzählen sie. Mit den Weibern pflegen sie gemeinsam Umgang, wohnen daher auch nicht mit ihnen zusammen und begatten sich wie das Vieh. Wenn aber dem Weibe das Kind herangewachsen ist, so kommen die männer immer im dritten Monat zusammen, und das Kind gilt dann für den Sohn desjenigen, welchem unter allen es gleicht,



181.

Dieß sind die nomadischen Libyer, welche an der Küste wohnen. Ueber diesen landeinwärts ist der Theil von Libyen, in welchem die wilden Thiere hausen[*] ), und über diesem zieht sich ein Sandstrich hin[*] ), welcher von dem Aegyptischen Theben bis zu den Säulen des Herakles sich erstreckt In diesem Sandstrich findet man ungefähr alle zehn Tagereisen Stücke von Saiz[**] ) in großen Klumpen auf den Hügeln; auf den Gipfeln eines jeden Hügels schießt mitten aus dem Salz kaltes und süßes Wasser empor; um dasselbe wohnen Menschen, die äußersten nach der Wüste zu und über dem die wilden Thiere enthaltenden Land, von Theben aus in einer Entfernung von zehn Tagereisen zuerst die Ammonier[***] ), welche das Heiligthum inne haben von dem Thebäischen Zeus. Denn auch zu Theben, wie dieß schon auch früher von mir bemerkt worden ist, hat das Bild des Zeus den Kopf eines Widders[†] ). Diese haben auch anderes Quellwasser, welches in der Frühe Morgens lau, um die Zeit aber, in welcher der Markt sich füllt[††] ), kühler ist; um Mittag wird es dagegen ganz kalt, und dann bewässern sie damit ihre Gärten; wenn der Tag zum Abend sich neigt, läßt das Wasser in seiner Kälte nach, bis die Sonne untergeht, wo es wieder lau wird; und nun nimmt es Weiter zu in der Wärme. bis es sich der Zeit um Mitternacht nähert, wo es dann kocht und sprudelt; ist Mitternacht vorbei, so kühlt es sich wieder ab bis gegen Sonnenaufgang[*] ). Es hat diese Quelle den Namen: der Sonnenquell[**] ).



182.

Nach den Ammoniern durch jenen Sandstreifen hindurch in einer Entfernung von zehn andern Tagesreisen befindet sich ein dem Amuionischen ähnlicher Hügel von Salz, sowie Wasser; und Menschen wohnen um denselben; dieser Ort hat den Namen Augila. An diesen Ort ziehen die Nasamonen, um die Dattelerndte einzuthun[***] ).



183.

Von Angila entfernt in einer Strecke von zehn andern Tagesreisen kommt ein anderer Salzhügel, deßgleichen Wasser und viele fruchttragende Dattelbäume, wie auch auf den andern Hügeln; auch auf ihm wohnen Menschen, welche den Namen Garamanten[†] ) haben, ein recht starkes Volk, welche auf das Salz Erde tragen und dieselbe besäen. Hier ist der kürzeste Weg zu den Lothophagen[††] ), von welchen es bis zu ihnen eine Strecke Wegs von dreißig Tagen ist. Bei ihnen sind auch die rückwärtsweidenden Ochsen, welche aus folgender Ursache rückwärts wesen: sie haben Hörner, welche vorwärts zu gebogen sind; deßwegen weiden sie rückwärts gehend; denn sie sind nicht im Stande es vorwärts zu thun, weil die Hörner vorn in die Erde einfloßen würden. Sonst unterscheiden sie sich in Nichts von den übrigen Ochsen, außer darin und in der Dicke und Härte des Fells. Diese Garamanten machen mit ihren Viergespannen Jagd auf die Troglodytischen Aethiopier[*] ); diese Troglodytischen Aethiopier sind nemlich die schnellfüßigsten unter allen Menschen, über welche uns irgend eine Nachricht zugekommen ist. Es genießen die Troglodyten Schlangen, Eidechsen und andere kriechende Thiere der Art; eine Sprache aber führen sie, welche keiner andern ähnlich ist, sondern sie schwirren, wie wohl die Fledermäuse[**] ).



184.

Von den Garamanten in einer Entfernung von zehn andern Tagereisen ist ein anderer Salzhügel und Wasser; auch um ihn wohnen Menschen, welche den Namen Ataranten tragen und unter allen Menschen, welche wir kennen, die einzigen sind, welche keinen besonderen Namen haben; sie heißen nemlich alle insgesammt Ataranten, und trägt ein jeder Einzelne von ihnen keinen besonderen Namen. Wenn die Sonne hoch über ihren Häuptern steht, fluchen sie auf dieselbe und ergehen sich überdem in allen möglichen Schimpfwörtern, weil die Sonne durch ihre Glut sie aufreibe, und zwar die Menschen selbst wie ihr Land. Hernach, in einer Entfernung von zehn andern Tagesreisen, ist noch ein anderer Salzhügel und Wasser; auch um ihn wohnen Menschen; an diesen Salzhügel stößt ein Berg, mit Namen Atlas[***] ), er ist schmal und nach allen Seiten hin kreisförmig und soll wirklich so hoch sein, daß es nicht möglich ist, seine Gipfel zu erblicken, weil dieselben nie von Gewölk frei sind, im Sommer wie im Winter; die Eingeborenen bezeichnen ihn als die Säule des Himmels[†).] Die Menschen, welche auf diesem Gebirg wohnen, haben davon auch ihren Namen erhalten; sie heißen nemlich Atlanten, und genießen, wie man sagt, nichts Lebendiges, sowie sie auch keine Träume haben.



185.

Bis zu diesen Atlanten nun vermag ich die Namen der auf jenem Sandstrich wohnenden Völkerschaften anzugeben; von da an aber nicht mehr; es geht aber dieser Strich hindurch bis zu den Säulen des Herakles und noch außerhalb derselben. In demselben ist ein Salzbergwerk in einer Entfernung von zehn Tagereisen, und Menschen wohnen daselbst, deren Wohnungen sämmtlich aus Salzstücken aufgebaut sind; denn in diesen Theilen Libyens regnet es schon nicht mehr, sonst könnten die Wände, welche von Salz sind, nicht bleiben, wenn es regnete; das Salz aber wird dort gegraben und ist von weißer und von purpurner Farbe. Ueber diesen Strich hinaus, nach Süden zu und in das Innere Libyens, ist das Land öde, wasserlos, ohne alle Thiere, ohne Regen und ohne Holz, von Feuchtigkeit ist in demselben keine Spur.



186.-187

Also sind die Libyer von Aegypten an bis zum Tritonssee Nomaden, welche Fleisch essen und Milch trinken; nur das Fleisch von Kühen genießen sie nicht, aus dem Grunde, aus dem auch die Aegyptier es nicht genießen[*] ), und ebenso halten sie auch keine Schweine[**] ). Selbst die Weiber der Cyrenäer halten es für unrecht, das Fleisch der Kühe zu genießen, um der Aegyptischen Isis willen, der zu Ehren sie sogar fasten und Feste feiern; die Weiber der Barcäer aber genießen weder Schweine- noch Kuhfleisch. Also verhält es sich damit.


***
187.

Westwärts von dem Tritonischen See sind die Libyer nicht mehr Nomaden, und haben auch nicht dieselben Gebräuche, noch thun sie bei ihren Kindern das, was eben die Nomaden zu thun pflegen. Die Nomadischen Libyer nemlich, ob alle, vermag ich mit Bestimmtheit nicht anzugeben, jedenfalls aber Viele von ihnen, thun Folgendes: wenn ihre Kinder vier Jahre alt sind, so brennen sie ihnen mit schmutziger Wolle von ihren Schafen die Adern auf dem Scheitel, Einige von ihnen auch die an den Schläfen, um deßwillen, damit auf alle Zeit eine vom Kopf herabfließende Ausdünstung ihnen keinen Schaden thue; und deßwegen, behaupten sie, wären sie die gesundesten Menschen. Es sind auch wirklich die Libyer unter allen Menschen, die wir kennen, die gesundesten[*] ); ob sie es nun um dieser Ursache willen sind, vermag ich nicht mit Bestimmtheit anzugeben, jedenfalls sind sie die gesundesten. Kommt bei dem Brennen der Kinder ein Krampf hinzu, so haben sie dafür ein Heimat gefunden; sie besprengen nemlich die Kinder mit dem Urin eines Bockes und heilen sie. Ich erzähle hier das, was die Libyer selbst angeben.




188.

Die Opfer geschehen bei den Nomaden auf folgende Weise: sie schneiden zuerst das Ohr des zum Opfer bestimmten Thieres ab, und werfen dann das Ohr über das Haus weg; haben sie dieß gethan, so drehen sie dem Thier den Hals um und schlachten es ab. Blos der Sonne und dem Mond bringen sie Opfer dar; diesen Gottheiten opfern überhaupt alle Libyer, nur die, welche am Tritonischen See wohnen, opfern zunächst der Athene, und hernach dem Triton und Poseidon[**] ).



189.

Es haben aber die Hellenen die Bekleidung und die Ziegenfellharnische[***] ) an den Bildern der Athene nach den Libyschen gefertigt; denn mit Ausnahme der ledernen Kleidung der Libyschen Bilder, und der Troddeln, die von dem Ziegenfellharnisch herabfallen und bei ihnen keine Schlangen sind, sondern lederne Riemen, ist der ganze übrige Anzug auf dieselbe Weise beschaffen. Auch der Name schon läßt erkennen, daß die Kleidung der Pallasbilder[*] ) aus Libyen stammt; denn die Libyschen Frauen werfen um ihr Kleid nackte[**] ) Ziegenfelle, welche Troddeln haben und roth gefärbt sind; nach diesen Ziegenfellen haben die Griechen ihre Ziegenfellharnische benannt. Es will mich wenigstens auch bedünken, daß das laute Geschrei bei der Vornahme heiliger Handlungen hier zuerst stattgefunden hat[***] ); denn dasselbe ist bei den Libyschen Frauen sehr im Gebrauch und führen sie es recht schön aus. Auch das Zusammenspannen von vier Pferden[†] ) haben die Hellenen von den Libyern gelernt.



190.

Es begraben die Nomaden ihre Todten, wie die Hellenen, mit Ausnahme der Nasamonen, welche dieselbe sitzend begraben, und achten sie darauf, wenn einer seine Seele aushaucht, daß sie ihn zum Sitzen bringen und er nicht rücklings liegend stirbt. Ihre Wohnungen sind zusammengefügt aus Asphodelusstengeln, welche um Binsen geflochten sind, und lassen sich dieselben herumtragen. Solche Gebräuche nun haben diese Völker.



191.-192

Westwärts vom Fluß Triton stoßen an die Auseer Schon die ackerbauenden Libyer, welche feste Wohnsitze haben und den Namen Maryer führen[*] ); ); sie lassen an der rechten Seite des Kopfes die Haare wachsen, während sie an der linken dieselben abscheeren; ihren Leib salben sie mit Mennig. Es behaupten aber dieselbigen von den Männern aus Troja abzustammen[**] ). Es hat dieses Land, sowie auch der übrige Theil von Libyen, der nach Westen zu sich erstreckt, weit mehr wilde Thiere und ist dichter bewachsen, als das Land der nomadischen Libyer. Denn der nach Osten zu gelegene Landstrich, welchen die Nomaden bewohnen, ist niedrig und sandig bis zum Fluß Triton, der Strich von da an aber nach Westen, also das Land der ackerbauenden Libyer, ist sehr gebirgig, dicht bewachsen und voll von wilden Thieren; denn hier findet man die übergroßen Schlangen[***] ), die Löwen, die Elephanten und Bären, die giftigen Nattern[†] ) und die gehörnten Esel[††] ), die Hundsköpfe und die Ohneköpfe, welche auf der Brust die Augen haben, wie wenigstens von den Libyern angegeben wird†††), die wilden Männer und die wilden Weiber und eine große Menge von andern Thieren, die nicht erlogen sind,


***
192.

Bei den nomadischen Libyern findet man Nichts der Art, sondern folgende andere Thiere: Pygargen, Dorkaden, Bubalis[*] ) und Esel, nicht solche, die Hörner haben, sondern andere, trinklose, weil sie nemlich kein Getränk zu sich nehmen, ferner Orycs[**] ), aus deren Hörnern die Griffe für die Cithern gemacht werden (dieses Thier ist nemlich an Größe einem Ochsen gleich), Füchse, Hyänen, Stacheischweine, wilde Widder, Dietyes[***] ) und Schakale, Panther, Boryes und Landkrokodile in der Länge von drei Ellen, welche den Eidechsen sehr ähnlich sind, Straube und kleine Schlangen, welche nur ein Horn haben. Diese Thiere findet man dort, sowie auch diejenigen, welche an andern Orten vorkommen, mit Ausnahme des Hirsches und des wilden Schweines; der Hirsch und das wilde Schwein kommt durchaus nicht in Libyen vor[†] ). Von Mäusen gibt es dort drei Arten; die einen heißen die zweifüssigen, die andern Zegeries, welches Wort ein Libysches ist, das in der Sprache der Hellenen Hügel bedeutet; die andern Echinees (Igel). Es gibt auch Wiesel[††] ) in dem Silphium, welche denen zu Tartessus[†††] ) sehr ähnlich sind. So viele Thiere nun enthält das Land der nomadischen Libyer, soweit wir nur immer bei unserer Nachforschung dieß zu erfahren vermochten.




193.

An die Libyschen Maxyer staßen die Zaueken[*†] ), bei weichen die Weiber die Kriegswagen lenken.



194.

An diese stoßen die Gyzanten, bei welchen Bienen viel Honig schaffen, noch viel mehr aber bereiten, wie behauptet wird, menschliche Arbeiter. Diese bestreichen sich alle mit Mennig und essen das Fleisch von Affen, welche in großer Menge in den Gebirgen sich finden.



195.

Nahe bei diesen, wie die Carthager[*] ) angeben, liegt eine Insel mit Namen Kyraunis[**] ), welche eine Länge von zweihundert Stadien hat, aber in der Breite schmal und vom Festland aus leicht zu erreichen ist, voll von Oelbäumen und Neben. Auf dieser Insel soll ein See sein, aus welchem die Jungfrauen der Eingeborenen mit Vogelfedern, die mit Pech bestrichen sind, Goldkörner aus dem Schlamm heraufholen. Ob dieß nun wahr ist, weiß ich nicht, ich schreibe nur, was erzählt wird. Es mag dieß aber wohl wahr sein, da ja auch auf Zakynthus[***] ), wie ich selbst sah, aus einem See und Wasser Pech herauf gebracht wird; es sind dort sogar Seen, von welchen der größeste siebenzig Fuß nach jeder Seite hin und zwei Klafter in die Tiefe hat: in denselben lassen eine Stange hinunter, an deren Spitze ein Myrthenzweig angebunden ist; und alsdann ziehen sie mit dem Myrthenzweig Pech herauf, welches den Geruch von Asphalt hat, im Uebrigen aber besser ist als das Pierische Pech[*] ). Sie schütten darauf das Pech in eine Grube, welche nahe bei dem See gegraben ist, und wenn sie recht viel angesammelt haben, so Schütten sie es aus der Grube in die Krüge. Alles aber, was in den See hinein fällt und unter die Erde geht, kommt hernach in dem Meere, welches ungefähr vier Stadien von dem See entfernt ist, wieder zum Vorschein. Also erscheint auch das, was von der Insel, die an der Küste Libyens liegt, erzählt wird, nicht so unwahrscheinlich.



196.

Auch Folgendes noch erzählen die Carthager[**] ). Es wäre eine Gegend von Libyen und wären Menschen, welche außerhalb der Säulen des Herkules wohnen; wenn sie zu diesen gekommen wären und ihre Waaren ausgeladen und in einer Reihe am Strande hingelegt hätten, so begaben sie sich darauf in ihre Schiffe und machten einen Rauch; sowie die Eingebornen den Rauch sähen, eilten sie an das Meer, legten dann statt der Waaren Gold hin und entfernten sich darnach von den Waaren. Die Carthager kämen dann aus den Schiffen heraus und sähen die Sache an; erscheint ihnen das Gold an Werth den Waaren gleich, so nehmen sie es weg und entfernen sich; erscheint es ihnen aber nicht angemessen, so kehren sie in ihre Schiffe wieder zurück und bleiben liegen; dann treten die Andern herzu und legen noch weiteres Gold bei, bis daß es jenen recht ist. Kein Theil thut dem Andern Unrecht; sie selbst rührten das Gold nicht an, bis sie es für gleich an Werth den Waaren erkannt hätten, und Jene rühreten die Waaren nicht eher an, als bis sie das Gold genommen hätten.



197.

Dieß sind unter den Libyern diejenigen, deren Namen ich anzuführen im Stande bin; von diesen kümmerten sich die Meisten weder damals noch jetzt um den König der Meder[***] ). So viel aber kann ich noch über dieses Land bemerken, daß vier Völker es bewohnen, und nicht mehr als diese, soweit wir wissen; von diesen Völkern sind zwei eingeboren, die zwei andern aber nicht. Die Libyer und Äthiopier, sind Eingeborene, von weichen die einen die nach Norden zu gelegenen, die andern die nach Süden zu gelegenen Theile Libyens bewohnen; die Phöniker und Hellenen sind Ankömmlinge.



198.

Es scheint mir ader auch in Bezug auf die Güte des Bodens Libyen nicht so vorzüglich zu sein, daß es mit Asien oder Europa zu vergleichen wäre, mit einziger Ausnahme von Cinyps[*] ); denn die Landschaft hat denselben Namen wie der Fluß. Dieses Land bringt gleich dem besten Lande unter allen die Frucht der Demeter hervor und hat daher auch mit dem übrigen Libyen gar keine Aehnlichkeit; denn es hat eim schwarze Erde und ist durch Quellen bewässert, hat daher von der Trockenheit Nichts zu besorgen, und leidet eben so wenig durch allzu starken Regen; denn es regnet in diesen Theilen von Libyen. Der Ertrag der Früchte steht aber dem in dem Babylonischen Lande[**] ) gleich. Auch das Land, welches die Euesperiten ***) bewohnen, ist gut; denn es trägt, wenn es am besten trägt, hundertfältig, das Land am Cinyps aber dreimalhundertfäitig.



199.

Auch die Landschaft von Cyrene, welche am höchsten liegt[†] ) in dem Theile von Libyen, welchen die Nomaden bewohnen, hat seine drei Jahreszeiten, welche bewundernswürdig sind. Denn zuerst reifen die Früchte an der Seeküste, zur Erndte und zur Herbstlese; sind dieselben nun eingebracht, so reifen die Früchte des mittlern Landstriches über den am Meere gelegenen Gegenden, welcher den Namen Hügelland führt, um eingethan zu werden; ist diese Frucht des mittleren Striches eingesammelt, so zeitigt auch die Frucht in dem obersten Theile des Landes und gelangt zur Reife. Auf diese Weise ist die erste Frucht ausgetrunken und aufgezehrt[*] ), wenn die letzte einkommt, und der Herbst[**] ) in Cyrene hat eine Dauer von acht Monaten. So viel soll nun darüber bemerkt sein.



200.-201

Als die Perser[***] ), welche zum Beistand der Pheretime von Aryandes aus Aegypten abgeschickt worden waren, nach Bares kamen, begannen sie die Belagerung der Stadt, und verlangten die Auslieferung derer, welche an dem Morde des Arcestilaus !aus Schuld waren. Weil aber das ganze Volk Antheil an der Schuld hatte, wies man die Vorschläge ab. Da belagerten sie die Stadt Barce neun Monate lang, gruben unter der Erde Gänge, welche bis in die Stadt hinein liefen, und setzten derselben gewaltig mit ihren Angriffen zu. Jene Gänge aber entdeckte ein Schmied mittelst eines ehernen Schildes durch folgenden klugen Einfall: er trug den Schild herum innerhalb der mauer, und hielt ihn an den Boden der Stadt; an allen andern Orten nun, wo er den Schild hinhielt, war es still; da aber, wo gegraben wurde, tönte das Erz des Schildes. Hier nun gruben die Barcäer entgegen und tödteten die in der Erde grabenden Perser[†] ). Dieß ward auf solche Weise entdeckt; die Angriffe aber schlugen die Barcäer zurück.


***
201.

Da nun viele Zeit darauf ging und Viele von beiden Seiten fielen, und zwar von den Persern nicht weniger, so kam Amasis, der Feldherr des Landheeres, auf folgenden Anschlag: er hatte wahrgenommen, daß die Barcäer durch Gewalt nicht zu bewältigen waren, wohl aber durch List, und darum thut er Folgendes: er ließ in der Nacht einen breiten Graben graben und legte schwache Bretter darüber, über welche er dann oben darauf einen Schutt von Erde auftragen lieb und so das Ganze dem übrigen Erdboden gleich machte. Zugleich mit dem Anbruch des Tages lud er dann die Barcäer zu einer Unterredung ein. Diese gaben ihm gerne Gehör, weil auch sie wünschten, einen Vergleich einzugehen; und so schlossen sie dann folgenden Vertrag, indem sie über dem verborgenen Graben den Eid schwuren, daß, so lange diese Erde so bleibe, auch der beschworene Vertrag Bestand haben solle; die Barcäer verstanden sich zur Entrichtung eines angemessenen Tributs an den König, und die Perser versprachen, Nichts weiter gegen die Barcäer vorzunehmen. Nach dem Eide gingen die Barcäer im Vertrauen darauf nicht nur selbst aus der Stadt, sondern sie lützen auch Jeden von den Feinden, der da warne, in die Stadt eintreten, nachdem sie alle Thore geöffnet hatten. Da rissen die Perser die verborgene Brücke ein und stürzten hinein in die Stadt; sie rissen aber die Brücke, die sie angelegt hatten, aus dem Grund ein, damit sie den Eid nicht verletzten, welchen sie den Barcäern geleistet hatten, wornach der beschworene Vertrag so lange Bestand haben soll, als die Erde bliebe, wie sie damals war. Nachdem aber die Brücke abgebrochen war, hatte der Eid keinen Bestand mehr.




202.

Als nun die Hauptschuldigen der Barcäer von den Persern der Pheretime ausgeliefert worden waren, ließ sie dieselben an Pfähle aufspießen[*] ) rings um die Mauer herum, ihren Weibern aber die Brüste abschneiden und damit die Mauer bespicken; die übrigen Barcäer gab sie als Beute den Persern preis, mit Ausnahme aller derjenigen, welche Battiaden waren und keine Mitschuld an dem Mord hatten; diesen überließ Pheretime die Stadt.



203.

Die Perser, nachdem sie die übrigen Barcäer zu Sclaven gemacht hatten, zogen dann ab, und als sie bei der Stadt Cyrene angelangt waren, so ließen die Cyrenäer, aus Rücksicht auf einen Götterspruch, durch die Stadt ziehen. Während aber das Heer durch die Stadt zog, drang Bares, der Befehlshaber der Flotte, darauf, man solle der Stadt sich bemächtigen; Amasis, der Führer des Landheeres, ließ es jedoch nicht zu, weil er wider die Hellenische Stadt Barce geschickt worden sei. So zogen sie nun hindurch, und als sie bei dem Hügel des Lycäischen Zeus sich niederließen, bereueten sie, Cyrene nicht genommen zu haben, und nun machten den Versuch, zum zweitenmal hineinzukommen; die Cyrenäer aber gaben es nicht zu. Da überfiel die Perser, obwohl Niemand einen Kampf wider sie erhob, ein Schrecken[*] ), so das sie davonliefen und erst in einer Entfernung von etwa sechzig Stadien[**] ) sich niederließen. Als das Heer hier Platz genommen hatte, kam ein Bote von Aryandes und rief dasselbe zurück. Die Perser aber, nachdem die Cyrenäer ihrer Bitte um Lebensmittel auf den Weg entsprochen hatten, zogen nach Empfang derselben nach Aegypten. Von da an aber folgten ihnen Libyer auf dem Fuße, welche um der Kleidung und des Gepäckes willen die Zurückbleibenden und die Nachzügler ermordeten, bis das Heer in Aegypten ankam.



204.

Dieses Persische Heer war am weitesten in Libyen gekommen bis zu den Euesperiden[***] ). Die Barcäer aber, welche zu Sclaven gemacht worden waren, brachte man aus Aegypten weg zu dem König Darius, welcher ihnen im Baktrischen Lande ein Dorf überließ, in welchem sie wohnen sollten[†] ); diesem Dorf gaben sie den Namen Barce, und ist dasselbe noch bewohnt bis auf meine Zeit im Baktrischen Lande.



205.

Aber auch Pheretime hatte kein gutes Ende ihres Lebens. Denn sowie sie aus Libyen, nachdem sie Rache genommen an den Barcäern, nach Aegypten zurückgekehrt war, starb sie eines schlimmen Todes, indem sie lebendigen Leibes von Würmern, welche aus ihrem Leibe herauskamen, aufgefressen ward. Also macht übertriebene Rache die Menschen verhaßt bei den Göttern[*] ). Solcher Art und von solcher Größe war die Rache, welche Pheretime, des Battus Tochter, an den Barcäern genommen hatte.